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Ganz anders der Hamlet, den seine angeborene Melancholie, der Tod seines Vaters, die rasche Heirath seiner Mutter mit seinem Oheim, die Unsicherheit seiner Stellung an dem neuen Hofe, die Erscheinung des Geistes, die Rache, die von ihm gefordert wird, zu deren Ausführung er gleich im ersten Augenblick seinen Arm und seinen Willen zu schwach empfindet: 'Schmach und Gram, daß ich zur Welt sie einzurichten kam!' so viel Angriffe und Stürme auf sein leicht verletzbares Gemüth, seine erregte Nervosität aus dem Gewohnten gerissen und auf die Grenze zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits getrieben haben. Dieser Hamlet will den Wahnsinnigen spielen, um zu seinem Zwecke, der Bestrafung des Königs, zu gelangen, spielt ihn auch mit der Kraft seines Geistes Polonius, Güldenstern und Rosenkranz, sogar dem Könige gegenüber, in allen Scenen, wo seine Leidenschaft nicht gereizt wird, glücklich und bleibt seiner Sinne und seiner Vorstellungen Meister. Aber, wenn er sich selbst und seinen Gedanken überlassen ist; wenn er sich von Ophelien losreißt; den König durch das Schauspiel des Mordes überführt; wenn ihm der Geist, im Gemach seiner Mutter, erscheint: 'mein Vater in leibhaftiger Gestalt!' dann handelt, redet, geberdet er sich nicht wie ein Zurechnungsfähiger, dann ist der Wahn und die Verstörung Herr über ihn geworden. Seine Absicht, den Wahnsinnigen zu spielen, wie seine zeitweilige Verstörtheit klingen im fünften Akte, von seinem Spaziergange auf dem Kirchhofe an, in jene tiefe und gefaßte Schwermuth aus, die uns sein erstes Auftreten, seine ersten Worte als seines Wesens Kern offenbart haben.

Daß die Melancholie und die Wahnvorstellungen über den geistig seiner Umgebung so hoch überlegenen, so selbstbewussten Jüngling Macht gewinnen, die Klarheit seiner Vernunft trüben, sich mit der ihm eigenen Willensschwäche verbinden, um seine Pläne zu durchkreuzen und zu verzögern: das ist eben Hamlet's tragisches Geschick. Brutus, der die Maske des Narren annimmt, um die Tarquinier aus Rom zu vertreiben, und seinen Zweck erreicht, ist kein tragischer Held; das Verhängnißvolle für Hamlet liegt darin, daß er sowohl eine That wie eine Rolle auf sich lädt, die durchzuführen für seine Gemüthsart und seinen Charakter unmöglich ist. Einen Schuldigen will er treffen und tödtet den unschuldigen Polonius, zerstört das Leben der Geliebten; den Verrückten will er spielen und erliegt dem Wahnsinn. Schade, daß weder Lichtenberg bei seiner Schilderung der Darstellung des Hamlet durch Garrick, noch Tieck in seinen Bemerkungen über Kemble und Kean auf diesen Punkt ausführlicher eingegangen sind. An den beiden entgegengesetzten Enden der Auffassung über Hamlet's geistigen Zustand bewegten sich unter den deutschen Schauspielern Friedrich Dettmer und Bogumil Dawison. In

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Dettmer's Hamlet war keine Spur von Wahnsinn, er stellte sich nur und auch das noch in sehr bescheidener und discreter Weise toll, er ärgerte und verspottete die Andern durch seine Reden und nahm ihnen gegenüber ein wunderliches Wesen an. Aber im Uebrigen blieb er stets seiner Sinne und seiner Zunge Meister. Weder in dem Gespräch mit Ophelia, dem er einen einschmeichelnden elegischen Klang gab, noch in der Unterredung mit seiner Mutter, wo er die Absicht des Dichters, die wilde Leidenschaft und die blutige Ironie Hamlet's gar nicht merkte, stellte er einen Menschen dar, dessen Puls im Fieber geht. Umgekehrt übertrieb Dawison, namentlich gegen den Ausgang seiner Laufbahn, das andere Extrem. Sein Hamlet hatte eine bedenkliche Aehnlichkeit mit dem Lord Harleigh des französischen Schauspiels 'Sie ist wahnsinnig', der einen Arzt zur Heilung seiner Gattin, die er für gestört hält, herbeiruft, während er selbst am Wahnsinn leidet. Die Wirkung, die er damit in einigen Scenen hervorbrachte, war, wie ich oben schon sagte, eine außerordentliche; Niemand, der sie gesehen, wird sie jemals vergessen können; allein der Eindruck wurde auf Kosten der Wahrscheinlichkeit erzeugt. Unter dem Banne der Darstellung gab man sich freilich keine Rechenschaft davon. Wäre Hamlet ein Wahnsinniger in dem gewohnten Sinne des Worts, so würde nach der Schauspielscene, wie sie Dawison spielte, von zwei Dingen eins erfolgt sein: entweder er hätte den König niedergestoßen oder der König hätte ihn als einen Tobsüchtigen mit Recht festnehmen lassen. Da weder das Eine noch das Andere in der Dichtung geschieht, so muß der Schauspieler, inmitten des leidenschaftlichen Ausbruchs, dennoch jene Mäßigung bewahren, die der Königin erlaubt, mit ihm zu verhandeln. Emil Devrient hat sich die Frage nach Hamlet's geistiger Krankheit oder Gesundheit wohl kaum je in bestimmter Form gestellt; seiner bestechenden äußeren Mittel in Erscheinung und Organ sicher, hüllte er die ganze Gestalt in einen Schleier der Schwermuth, der die Formen mehr verbarg als hervortreten ließ von Anfang zu Ende war er der melancholische Prinz, nichts mehr, aber auch nichts weniger. Friedrich Haase, der auf der Bühne des Berliner Schauspielhauses im Jahre 1869 den Hamlet gespielt hat eine Rolle, die für sein fein und spitz charakterisirendes Talent durchaus nicht paßt machte den Prinzen so weit zum Vetter jenes Lord Harleigh, daß er ihn sogar das weiße Taschentuch ein nothwendiges Requisit für den Lord mit Vorliebe gebrauchen ließ; es war für ihn etwas wie das Leitmotiv der Rolle geworden. Vermöge seiner grüblerischen Natur, die sich schon in seinem Gange und seiner Haltung ausdrückte, vermochte Ludwig Dessoir dies Schweben Hamlet's auf der schmalen Scheide zwischen Klarheit und Verworrenheit meisterlich zu treffen; er verirrte sich niemals

jenseit dieser Grenze, aber er wußte in dem ergriffenen Zuschauer in allen leidenschaftlicheren Momenten der Rolle die Sorge und die Furcht zu erwecken und wach zu halten, in der nächsten Secunde würde Hamlet das mühsam gewahrte Gleichgewicht verlieren. Hätte Dessoir's Persönlichkeit mehr der Vorstellung entsprochen, die unsere Phantasie aus der Dichtung von dem jugendlichen Prinzen schöpft, wäre sein Organ wohllautender und nicht durch einen gewissen unüberwindlichen heiseren Klang wie gebunden gewesen; hätte er auf seiner Palette mehr Farben gehabt; er würde, wenn mich die Erinnerung nicht irreführt, dem Ideal des Hamlet am nächsten gekommen sein. Auch von Edwin Booth, dem berühmten amerikanischen Hamletspieler, wird die Kunst gerühmt, mit der er die Gestalt auf der Grenze zwischen Vernunft und Wahnsinn hält.

Betrachtet man, nach Feststellung dieser beiden Hauptpunkte: der fürstlichen, jugendlichen Erscheinung und Haltung und des gestörten Nervensystems, die Rolle genauer im Einzelnen, so lassen sich zwei nach ihrem Inhalt und folglich auch in ihrer Vortragsweise durchaus verschiedene Gruppen von Scenen unterscheiden: die schmerzlich pathetischen: die Monologe, das Gespräch mit Marcellus und Horatio, die Begegnung mit dem Geiste, der Abschied von Ophelia, die Vorgänge beim Schauspiel, die Unterredung mit der Mutter, das Zusammentreffen mit Laertes bei dem Begräbniß Ophelien's, das Ende; und die einfach conversationellen: die Unterhaltung mit Polonius, mit Rosenkranz und Güldenstern im zweiten und dritten Akt, die Unterweisung an die Schauspieler. Zweimal gehen diese Scenen aus dem leichten, immer ironisch gefärbten Ton in den pathetischen über: als Hamlet von Güldenstern verlangt, er solle die Flöte spielen; als er in Horatio's Begleitung auf dem Kirchhof wandelt. Macbeth, Romeo, Richard III., Prinz Heinrich sind aus einem Ton zu spielen, Hamlet ist auch darin ein zwiespältiges Wesen, daß er aus der höchsten tragischen Erregung in die Form und Weise gewöhnlicher Unterhaltung hinüberspringt. Wohl geht der Zug ironischer Bitterkeit, die Schadenfreude durch alle seine Reden; da er sich von den Höflingen umlauert, seine Worte und Blicke bewacht weiß, gefällt er sich darin, ihnen verletzende und peinliche Wahrheiten zu sagen, ihnen zu zeigen, wie sehr er sie durchschaut. Aber er bringt doch seine Verspottungen, seine Spitzen mit ausgesuchter Höflichkeit, ohne Uebertreibung des Umgangstones, an den Mann. Hier vor Allem muß der Schauspieler seine Vornehmheit, die Ueberlegenheit seines Geistes, die Gewandtheit seines Benehmens offenbaren. So gering an Gewicht und Bedeutung, gegenüber den pathetischen, diese Scenen erscheinen, so dürfen sie doch keineswegs leicht genommen werden, etwa nur als Bindestriche, die von einem Monolog zum andern, von der Begegnung mit dem Geiste zu dem

Abschied von Ophelien hinüberleiten. Sie dienen nicht nur dazu, Hamlet's Verstimmung und, wie der Spaziergang auf dem Friedhof, seine Melancholie und Todessehnsucht zu steigern, sondern entwickeln auch nach vielen Seiten hin sein Wesen. Wir lernen ihn als einen Freund und geistreichen Beurtheiler der Schauspielkunst kennen und werfen zugleich einen Blick in sein verbittertes, argwöhnisches Gemüth. Je nach seiner Individualität wird der Schauspieler entweder den liebenswürdigen geistvollen Edelmann oder den bittern und herausfordernden Ironiker betonen. Emil Devrient gewann durch die ausgesuchte Höflichkeit seines Betragens, Dawison überraschte durch die Schneidigkeit seines Hohns. Die Weise, wie Sonnenthal und Dettmer mit den Schauspielern verkehren, ihnen Lehren geben, hat etwas so Natürliches und Lebenswahres, daß diese Scenen sich in ihrer Darstellung zu Glanzpunkten gestalten, die wichtigere Vorgänge in den Schatten stellen. Die Gefahr ist dann nahe, daß die ganze Rolle im Ton der modernen Komödie gespielt wird, daß der Schauspieler, um im Alltagssinne lebenswahr zu erscheinen, die Figur aus der idealischen Sphäre in die bürgerliche hinabzieht. Ein Irrthum, in den der sonst so treffliche Dettmer verfiel.

Ueber die Auffassung der pathetischen Scenen gehen die Meinungen weit auseinander. Ungefähr übereinstimmend in allen großen Zügen sind die Künstler nur in der Darstellung des Schreckens, der Hamlet bei dem Anblick des Geistes ergreift. So klar und bestimmt hat der Dichter hier das Entsetzen, den Schauer vor der Geisterwelt, die Verehrung vor dem Vater, den wilden Schmerz und Zorn über das an jenem begangene Verbrechen ausgedrückt, daß der Darsteller nicht fehlgreifen kann, nur die Mittel des Ausdrucks werden nach der Eigenart und dem Talent der Einzelnen verschieden sein. Nach dem Verschwinden des Geistes tritt, nach meiner Ansicht, bei Hamlet jener wirbelige Zustand, jenes Fieber ein, worin er sich bis zur Kirchhofsscene befindet, klare Verständigkeit und Fieberphantasien wirren durcheinander; indem er den Freunden verkündigt, er werde in Zukunft ,,ein wunderliches Wesen anlegen," steht er unter der Gewalt der Aufregung, die ihn des ruhigen Besitzes seiner Geisteskräfte schon halbwegs beraubt hat; er glaubt noch frei zu sein und wird schon von dem Dämon fortgetrieben. Ist es nun, bei dieser geistigen Beschaffenheit Hamlet's, richtig, den bekannten Monolog,,Sein oder Nichtsein" als eine leidenschaftslose, von allem Aktuellen abgezogene Betrachtung über Selbstmord und Tod zu sprechen? Nach Garrick's Vorgang thun es die meisten Schauspieler, aber schon im Vortrage dieses ausgezeichneten Darstellers machte der Monolog keineswegs einen bedeutenden Eindruck; Lichtenberg sagt es uns und setzt hinzu: 'und kann ihn nicht machen.'

Das Warum überläßt er dem Leser. Ich glaube indessen,

daß sich die Wirkung recht wohl erhöhen läßt, der Schauspieler muß nur die Verse nicht als ein Philosoph, sondern als ein bis in die Tiefen seines Wesens erschütterter Mensch sprechen, der in der That mit dem Gedanken des Selbstmords ringt. Dawison hat es einmal versucht, den Monolog mit dem Dolch in der Hand zu sprechen. Das ging offenbar zu weit, aber es ist ebenso falsch und völlig eindruckslos, wenn der Schauspieler langsamen Schritt's, mit sinnender Miene, vom Hintergrunde oder aus der Coulisse her zum Souffleurkasten schreitet, eine ich möchte sagen metaphysische Stellung annimmt und mit leisem und doch getragenem Ton zu dociren anfängt: 'Sein oder Nichtsein.' Nein, der Zuschauer muß dem auftretenden Hamlet die innere Erregung ansehen, muß sie aus dem vibrirenden Ton seiner Stimme hören eine Erregung, die bis zu dem Augenblick, wo der Gedanke 'Vielleicht auch träumen!' in ihm aufblitzt, stark und stärker fortschwingt und erst von diesen Worten an sich allmählich mildert, bis sie in die Betrachtung 'Unternehmungen voll Mark und Nachdruck, durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt, verlieren so der Handlung Namen' schwermüthig und thatlos ausklingt. Der Monolog ist keine in die Rolle hineingeschobene dichterisch-philosophische Betrachtung, sondern eine Selbstoffenbarung Hamlet's: ein leidenschaftlicher Anlauf, der in Melancholie und Resignation endet, genau, wie all' sein Thun und Treiben. Die nicht geringe Schwierigkeit des leidenschaftlichen Auftretens, dazu die Verletzung der Tradition, die innerhalb der Schauspielerkreise eine viel größere Verehrung und Beachtung genießt, als der draußen Stehende annimmt, verhindert die Künstler diese Neuerung zu wagen. In der alten Weise vorgetragen kann der Monolog nur als ein Declamationsstück angesehen werden und als solches keine besondere Wirkung hervorbringen; ganz anders, wenn Hamlet's tiefste Empfindung ihn beseelte und ihn zu einem nothwendigen Moment seiner Entwickelung machte. Die sich unmittelbar daran anschließende Scene mit Ophelia ist durchtränkt mit schmerzlichem Gefühl. Sie einzig und allein auf den bitteren, rauhen und herben Ton zu stimmen, sie zur Hälfte auf die vermutheten Lauscher, den König und Polonius hin, mit Vorkehrung des verstellten Wahnsinns, zu spielen scheint mir ihren Gehalt keineswegs zu erschöpfen. Wohl ahnt Hamlet den König und Opheliens Vater in der Nähe und weiß, daß er auf seiner Huth sein muß, und dieser Gedanke, daß ihm hier, wenn auch halb unbewußt von der Geliebten, eine Falle gestellt werde, schärft die Bitterkeit seiner Zunge, spornt seinen Zorn gegen die Unbeständigkeit und Falschheit des Weibes, aber zugleich ergreift ihn doch auch bei dem Anblick der Geliebten die wehmüthige Empfindung an die glückliche Zeit ihrer Liebe, die er weggelöscht hat von der Tafel der Erinnerung; die Nothwendigkeit der Ent

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