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behaupten, Leonardo habe den Kopf des Heilandes in Castellazzo selbst gemalt, und innerhalb einer fremden Arbeit dasjenige gewagt, was er bei seinem eigenen Hauptbilde nicht unternehmen wollen. Da wir das Original nicht vor Augen haben, so müssen wir von der Durchzeichnung sagen, daß fie völlig dem Begriff entspricht, den man sich von einem edlen Manne bildet, dem ein schmerzliches Seelenleiden die Brust beschwert, wovon er sich durch ein vertrauliches Wort zu erleichtern suchte, dadurch aber die Sache nicht besser, sondern schlimmer gemacht hat.

Durch diese vergleichenden Vorschritte haben wir uns denn dem Verfahren des außerordentlichen Künstlers, wie er solches in Schriften und Bildern umständlich und deutlich erklärt und bewiesen hat, genugsam genähert, und glücklicherweise finden wir noch eine Gelegenheit, einen ferneren Schritt zu thun. Auf der Ambrosianischen Bibliothek nämlich wird eine von Leonardo unwidersprechlich verfertigte Zeichnung aufbewahrt, auf blaulichem Papier mit wenig weiß und farbiger Kreide. Von dieser hat Ritter Bossi das genaueste Facsimile verfertigt, welches gleichfalls vor unsern Augen liegt. Ein edles Jünglingsangesicht, nach der Natur gezeichnet, offenbar in Rücksicht des Christuskopfes zum Abendmahl. Reine, regelmäßige Züge, das schlichte Haar, das Haupt nach der linken Seite gesenkt, die Augen niedergeschlagen, den Mund halbgeöffnet, und die ganze Bildung durch einen leisen Zug des Kummers in die herrlichste Harmonie gebracht. Hier ist freilich nur der Mensch, der ein Seelenleiden nicht verbirgt; wie aber, ohne diese Zusage auszulöschen, Erhabenheit, Unabhängigkeit, Kraft, Macht der Gottheit zugleich auszudrücken wäre, ist eine Aufgabe, die auch selbst dem geistreichsten irdischen Pinsel schwer zu lösen seyn möchte. In dieser Jünglingsphysiognomie, welche zwischen Christus und Johannes schwebt, sehen wir den höchsten Versuch sich an der Natur festzuhalten, da wo vom Ueberirdischen die Rede ist.

Die ältere florentinische und sienesische Schule entfernten sich von den trockenen Typen der byzantinischen Kunst dadurch, daß sie überall in ihren Bildern Porträte anbrachten. Dieß ließ sich nun sehr gut thun, weil bei den ruhigen Ereignissen ihrer Tafeln die theilnehmenden Personen gelassen bleiben konnten. Das Zusammenseyn heiliger Männer, Anhörung einer Predigt, Einsammeln von Almofen, Begräbniß eines verehrten Frommen fordert von dem Umstehenden nur solchen Ausdruck, der in jedes natürlich sinnliche Gesicht gar wohl zu legen ist; sobald nun aber Leonardo

Lebendigkeit, Bewegung, Leidenschaft forderte, zeigte sich die Schwierigkeit, besonders da nicht etwa ähnliche Personen neben einander stehen, sondern die entgegesetztesten Charaktere mit einander contrastiren sollten. Diese Aufgabe, welche Leonardo mit Worten so deutlich ausspricht und beinahe selbst unauflöslich findet, ist vielleicht Ursache, daß in der Folgezeit große Talente die Sache leichter machten, und zwischen der besondern Wirklichkeit und der ihnen eingeborenen allgemeinen Idee ihren Pinsel schweben ließen, und sich so von der Erde zum Himmel, vom Himmel zur Erde mit Freiheit bewegten.

Noch manches wäre zu sagen über die höchst verwickelte und zugleich höchst kunstgemäße Composition, über den Lokalbezug der Köpfe, Körper, Arme, Hände unter einander. Von den Händen besonders würden wir einiges zu sprechen das Recht haben, indem Durchzeichnungen nach der Copie des Vespino gleichfalls gegenwärtig sind. Wir schließen aber billig diese Vorarbeit, weil wir vor allen Dingen die Bemerkungen der Transalpinischen Freunde abzuwarten haben. Denn diesen kommt allein das Recht zu, über manche Punkte zu entscheiden, da sie alle und jede Gegenstände, von denen wir nur durch Ueberlieferung sprechen, seit vielen Jahren selbst gekannt, sie noch vor Augen haben, nicht weniger den ganzen Hergang der neuesten Zeit persönlich mit erlebten. Außer dem Urtheil über die von uns angedeuteten Punkte werden sie uns gefällig Nachricht geben, in wie fern Bossi von den Köpfen der Copie zu Castellazzo doch noch Gebrauch gemacht? welches um so wahrscheinlicher ist, als dieselbe überhaupt viel gegolten, und das Kupfer von Morghen dadurch so großes Verdienst erhält, daß sie dabei sorgfältig benutzt worden.

Nun aber müssen wir noch, ehe wir scheiden, dankbarlich erkennen, daß unser mehrjähriger Freund, Mitarbeiter und Zeitgenosse, den wir noch immer so gern, früherer Jahre eingedenk, mit dem Namen des Maler Müller bezeichnen, uns von Rom aus mit einem trefflichen Aufsatz über Bossi's Werk in den Heidelberger Jahrbüchern December 1816 beschenkt, der, unserer Arbeit in ihrem Laufe begegnend, dergestalt zu gute kam, daß wir uns an mehreren Stellen kürzer fassen konnten, und nunmehr auf jene Abhandlung hinweisen, wo unsere Leser mit Vergnügen bemerken werden, wie nahe wir mit jenem geprüften Stünstler und Kenner verwandt, ja übereinstimmend gesprochen haben. In Gefolg dessen machten wir uns zur Pflicht, hauptsächlich diejenigen Punkte hervorzuheben, welche

jener Kunstkenner, nach Gelegenheit und Absicht weniger, ausführlich behandelte.

Eben indem wir schließen, wird uns dargebracht: Trattato della Pittura di Leonardo da Vinci; tratto da un Codice della Biblioteca Vaticana. Roma 1817. Dieser starke Quartband enthält viele bisher unbekannte Capitel, woraus tiefe, neue Einsicht in Leonardo's Kunst und Denkweise gar wohl zu hoffen ist. Auch sind zweiundzwanzig Kupfertafeln, klein Folio, beigelegt, Nachbildungen bedeutender, leichter Federzüge völlig nach Sinn und Art derjenigen, womit Leonardo gewöhnlich seine schrift= lichen Auffäße zu erläutern pflegte. Und so sind wir denn verpflichtet bald wieder aufzunehmen, was wir niedergelegt haben, welches denn unter Beistand der höchst gefälligen Mailändischen Kunstfreunde uns und andern möge zu gute kommen!

Observations on Leonardo da Vinci's celebrated picture of the Last supper. By Goethe. Translated, and accompanied with an introduction. By Noehden. London 1821.

Herr Dr. Noehden, in Göttingen geboren und eine gelehrte Erziehung daselbst genießend, widmete sich nachher in England dem Geschäft einer Familienerziehung. Seine Lebensereignisse so wie seine Verdienste find durch eine Biographie im 5. Bande der Zeitgenossen dem Vaterlande allgemein bekannt geworden, und ist derselbe gegenwärtig bei dem Brittischen Museum angestellt. Er verweilte den Winter von 1818-19 in Weimar, und gegenwärtige Schrift ist als Denkmal seines Aufenthalts daselbst höchst erfreulich; er erinnert sich der seinen Verdiensten und Cha= rakter angemessenen, zutrauensvollen, freundschaftlichen Aufnahme, feines, obgleich leider nur vorübergehenden Einflusses in die dortigen Cirkel.

Seine gründlichen Sprachkenntnisse sind durchaus willkommen, und weil die Bemühung sie zu erlangen den denkenden und forschenden Mann zur allgemeinen Bildung treibt, muß eine vielseitige Cultur daher entstehen. Seine Bekanntschaft mit Altem und Neuem, historische Kenntnisse aller Art, die Einsicht in den Zustand von England gaben Stoff genug zu unterhaltenden Gesprächen; sodann war seine Theilnahme an den schönen Künsten vorzüglich geeignet, um die Unterhaltung der Gesellschaft zu beleben.

Denn überzeugt, daß Kunstwerke die schönste Unterlage geistreicher Gespräche sehen, das Auge ergößend, den Sinn auffordernd, ist es in Weimar herkömmlich, Kupferstiche und Zeichnungen vereinigten Freunden vorzulegen. In sofern nun eine solche Sammlung nach Schulen geordnet ist oder vielmehr nach wechselseitigem Einfluß der Meister und Mitschüler, so ist sie desto wirksamer und gründet das Gespräch, indem sie es belebt. Gedachten Winter jedoch war die Betrachtung Leonardo's da Vinci an der

Tagesordnung, weil von Mailand bedeutende, auf diesen Künstler bezügliche Kunstschätze so eben anlangten, und der über das Abendmahl verfaßte Auffaz Herrn Dr. Noehden mitgetheilt wurde. Daß er diese Arbeit billige, ließ sich bald bemerken, ja er bethätigte seine Theilnahme durch begonnene Uebersetzung.

Eine Reise nach Italien, wenn sie schon seine Gegenwart entzieht, wird einem so unterrichteten Manne sodann gern gegönnt; er benutzt sogleich in Mailand die Gelegenheit gedachtes Kunstwerk nochmals zu untersuchen. Nun aber giebt er, in vorausgesendeter Einleitung, Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande desselben, und erweitert unsere Kenntniß davon auf mancherlei Weise; das bisher Bekannte bestimmt er näher, berichtigt Erfahrung und Urtheil; ferner benachrichtigt er uns von einigen Copien und schäßt sie. Die von Castellazzo sah er nicht, jedoch die aus der Karthause von Pavia 1818 in London. Er gedenkt ferner der Tapete in St. Peter am Frohnleichnamstage aufgehängt, rühmt eine Originalskizze in der königlichen Sammlung, tadelt aber die Copie Rylands als höchst unvollkommen, und spricht auslangend von Kupferstichen nach dem merkwürdigen Bilde.

Auf diese Einleitung folgt die Uebersetzung selbst, mit Bedacht, Genauigkeit und doch mit Freiheit behandelt; Druck und Papier ist Englands werth, und es kommt dem Deutschen wunderlich vor, seine Gedanken so anständig vorgetragen zu sehen; freilich um hiezu zu gelangen, mußten sie übers Meer wandern und durch Freundes Vermittlung in einer fremden Sprache sich hervorthun.

Eine Miniaturnachbildung des kolossalen Gemäldes von Joseph Mochetti findet sich in den Prachteremplaren dem Titel gegenüber, welchen als Vignette eine auf Seine des Großherzogs von Weimar königliche Hoheit in Mailand geprägte Medaille zum Andenken der Acquisition dortiger bedeutender Kunstschäße ziert. Die dem Ganzen vorausgeschickte Dedication an Ihro der Frau Erbgroßherzogin kaiserliche Hoheit ist sowohl für den Verfasser als für den hohen bedeutenden Kreis ein erfreuliches Denkmal.

Abschließen können wir nicht, ohne Herrn Dr. Noehden für eine freundlich fortgesetzte Theilnahme zu danken, wovon bei Gelegenheit einer Entwickelung des Triumphzugs von Mantegna nächstens umständlicher zu handeln seyn wird.

Goethe, sämmtl. Werke. XXV.

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