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Beachten aller Abweichungen bis ins Häßlichste; die sichtbare Umwandelung des Kindes bis zum Greis auf allen Stufen, besonders aber die Ausdrücke der Leidenschaft, von Freude zur Wuth, sollen flüchtig, wie sie im Leben vorkommen, aufgezeichnet werden. Will man in der Folge von einer solchen Abbildung Gebrauch machen, so soll man in der Wirklichkeit eine annähernde Gestalt suchen, fie in dieselbe Stellung seßen, und mit obwaltendem allgemeinem Begriff genau nach dem Leben verfahren. Man sieht leicht ein, daß, so viel Vorzüge auch diese Methode haben mag, sie doch nur vom allergrößten Talente ausgeübt werden kann; denn da der Künstler vom Individuellen ausgeht und zu dem Allgemeinen hinansteigt, so wird er immer, besonders wenn mehrere Figuren zusammenwirken, eine schwer zu lösende Aufgabe vor sich finden.

Betrachte man das Abendmahl, wo Leonardo dreizehn Personen, vomr Jüngling bis zum Greise, dargestellt hat. Einen ruhig ergeben, einen erschreckt, eilf durch den Gedanken eines Familienverraths an- und aufgeregt. Hier sieht man das sanfteste, sittlichste Betragen bis zu den heftigsten leidenschaftlichen Aeußerungen. Sollte nun alles dieses aus der Natur genommen werden, welches gelegentliche Aufmerken, welche Zeit war nicht erforderlich, um so viel Einzelnes aufzutreiben und ins Ganze zu verarbeiten! Daher ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß er sechzehn Jahre an dem Werke gearbeitet, und doch weder mit dem Verräther, noch mit dem Gottmenschen fertig werden können, und zwar weil beides nur Begriffe sind, die nicht mit den Augen geschaut werden.

Bur Sache!

Ueberlegen wir nun das Vorgesagte, daß das Bild nur durch eine Art von Kunstwunder seiner Vollendung nahe gebracht werden konnte, daß, nach der beschriebenen Behandlungsart, immer in manchen Köpfen etwas Problematisches blieb, welches durch jede Copie, auch durch die genaueste, nur problematischer werden mußte, so sehen wir uns in einem Labyrinth, in welchem uns die vorliegenden Durchzeichnungen wohl erleuchten, nicht aber aus demselben völlig erlösen können.

Zuerst also müssen wir gestehen, daß uns jene Abhandlung, wodurch Boffi die Copien durchaus verdächtig zu machen sucht, ihre historische Richtigkeit unangetastet, zu dem rednerischen Zweck geschrieben zu seyn scheint, die Copie von Castellazzo herunter zu setzen, die, ob sie gleich

viele Mängel haben mag, doch in Absicht der Köpfe, welche vor uns liegen, gegen die von Vespino, deren allgemeinen Charakter wir oben ausgesprochen, entschiedene Vorzüge hat. In den Köpfen des Marcus d'Oggiono ist offenbar die erste Intention des Vinci zu spüren, ja Leonardo könnte selbst daran Theil genommen und den Kopf Christi mit eigener Hand gemalt haben. Sollte er da nicht zugleich auf die übrigen Köpfe, wo nicht auf das Ganzé, lehrenden und leitenden Einfluß verbreiten ! Durften auch die Dominicaner zu Mailand so unfreundlich seyn, den weitern Kunstgebrauch des Werkes zu untersagen, so fand sich in der Schule selbst so mancher Entwurf, Zeichnung und Carton, womit Leonardo, der seinen Schülern nichts vorenthielt, einem begünstigten Lehrling, welcher unfern der Stadt eine Nachbildung des Gemäldes sorgfältig unternahm, gar wohl aushelfen konnte.

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Von dem Verhältniß beider Copien das Verdienst der dritten ist nur vor die Augen, nicht mit Worten vor den Geist zu stellen hier nur mit wenigen das Nöthigste, das Entschiedenste, bis wir vielleicht so glücklich sind Nachbildungen dieser interessanten Blätter Freunden der Kunst vorzulegen.

Vergleichung.

St. Bartholomäus, männlicher Jüngling, scharf Profil, zusammengefaßtes, reines Gesicht, Augenlied und Braue niedergedrückt, den Mund geschlossen, als wie mit Verdacht horchend, ein vollkommen in sich selbst umschriebener Charakter. Bei Vespino keine Spur von individueller, charakteristischer Gesichtsbildung, ein allgemeines Zeichenbuchsgesicht, mit eröffnetem Munde horchend. Bossi hat diese Lippenöffnung gebilligt und beibehalten, wozu wir unsere Einstimmung nicht geben könnten.

St. Jacobus, der jüngere, gleichfalls Profil, die Verwandtschaftsähnlichkeit mit Christo unverkennbar, erhält durch vorgeschobene, leicht geöffnete Lippen etwas Individuelles, das jene Aehnlichkeit wieder aufhebt. Bei Vespino nahezu ein allgemeines, akademisches Christusgesicht, der Mund eher zum Staunen, als zum Fragen geöffnet. Unsere Behauptung, daß Bartholomäus den Mund schließen müsse, wird dadurch bestätigt, daß der Nachbar den Mund geöffnet hält; eine solche Wiederholung würde sich Leonardo nie erlaubt haben, vielmehr hat der nachfolgende

St. Andreas den Mund gleichfalls geschlossen. Er brückt, nach

Art älterer Personen, die Unterlippe mehr gegen die Oberlippe. Dieser Kopf hat in der Copie von Marcus etwas Eigenes, mit Worten nicht Auszusprechendes; die Augen in sich gekehrt, der Mund, obgleich geschlossen, doch naiv. Der Umriß der linken Seite gegen den Grund macht eine schöne Silhouette; man sieht von jenseitiger Stirne, von Auge, Nasenfläche, Bart so viel, daß der Kopf sich rundet, und ein eigenes Leben gewinnt; dahingegen Vespino das linke Auge völlig unterdrückt, doch aber von der linken Stirn- und Bartseite noch so viel sehen läßt, daß ein derber kühner Ausdruck bei aufwärts gehobenem Gesichte entspringt, welcher zwar ansprechend ist, aber mehr zu geballten Fäusten, als zu vorgewiesenen flachen Händen passen würde.

Judas verschlossen, erschrocken, ängstlich auf und rückwärts sehend, das Profil ausgezackt, nicht übertrieben, keineswegs häßliche Bildung; wie denn der gute Geschmack in der Nähe so reiner und redlicher Menschen kein eigentliches Ungeheuer dulden könnte. Vespino dagegen hat wirklich ein solches dargestellt, und man kann nicht läugnen, daß, abgesondert genommen, dieser Kopf viel Verdienst hat; er drückt eine boshaft kühne Schadenfreude lebhaft aus, und würde unter dem Pöbel der über ein Ecce Homo jubelt, und „Kreuzige! kreuzige!" ruft, sich vortrefflich hervorheben. Auch für einen Mephistopheles im teuflischsten Augenblick müßte man ihu gelten lassen. Aber von Erschrecken und Furcht, mit Verstellung, Gleichgültigkeit und Verachtung verbunden, ist keine Spur, die borstigen Haare passen gut zum Ganzen, ihre Uebertriebenheit jedoch kann nur neben Kraft und Gewaltsamkeit der übrigen Bespinischen Köpfe bestehen.

St. Petrus, sehr problematische Züge. Schon bei Marcus ist es bloß schmerzlicher Ausdruck; von Zorn aber und Bedräuung kann man nichts darin sehen; etwas Aengstliches ist gleichfalls ausgedrückt, und hier mag Leonardo selbst mit sich nicht ganz einig gewesen seyn, denn herzliche Theilnahme an einem geliebten Meister und Bedrohung des Verräthers sind wohl schwerlich in Einem Gesichte zu vereinigen. Indessen will Cardinal Borromeo zu seiner Zeit dieses Wunder gesehen haben. So gut seine Worte auch klingen, haben wir Ursache zu glauben, daß der kunstliebende Cardinal mehr seine Empfindung, als das Bild ausgesprochen; denn wir wüßten sonst unsern Vespino nicht zu vertheidigen, dessen Petrus einen unangenehmen Ausdruck hat. Er sieht aus wie ein harter Capuziner, dessen Fastenpredigt die Sünder aufregen soll. Wundersam, daß Vespino

ihm straubige Haare gegeben hat, da der Petrus des Marcus ein schön kurz gelocktes Kräuselhaupt darstellt.

St. Johannes ist von Marcus ganz in Vinci'schem Sinne gebildet: das schöne rundliche, sich aber doch nach dem Länglichen ziehende Gesicht, die vom Scheitel an schlichten, unterwärts aber sanft sich kräuselnden Haare, vorzüglich wo sie sich an Petrus' eindringende Hand anschmiegen, sind allerliebst. Was man vom Schwarzen des Auges sieht, ist von Petrus abgekehrt eine unendlich feine Bemerkung, indem wer mit innigstem Gefühl seinem heimlich sprechenden Seitenmanne zuhört, den Blick von ihm abwendet. Bei Bespino ist es ein behaglicher, ruhender, beinahe schlafender, keine Spur von Theilnahme zeigender Jüngling.

Wir wenden uns nun auf Christi linke Seite, um von dem Bilde des Erlösers selbst erst am Schlusse zu reden.

St. Thomas' Kopf und rechte Hand, deren aufgehobener Zeigefinger etwas gegen die Stirne gebogen ist, um Nachdenken anzudeuten. Diese dem Argwöhnischen und Zweifelnden so wohl anstehende Bewegung hat man bisher verkannt, und einen bedenklichen Jünger als drohend angesprochen. In Vespino's Copie ist er gleichfalls nachdenklich genug; da aber der Künstler wieder das fliehende rechte Auge weggelassen, so entsteht ein perpendiculares, gleichförmiges Profil, worin von dem Vorgeschobenen, Aufspürenden der ältern Copie nichts mehr zu sehen ist.

St. Jacob, der ältere. Die heftigste Gesichtsbewegung, der aufgesperrteste Mund, Entseßen im Auge, ein originelles Wagestück Leonardo's ; doch haben wir Ursache zu glauben, daß auch dieser Kopf dem Marcus vorzüglich gerathen sey. Die Durchzeichnung ist vortrefflich, in der Copie des Vespino dagegen alles verloren: Stellung, Haltung, Miene, alles ist verschwunden, und in eine gewisse gleichgültige Allgemeinheit aufgelöst.

St. Philipp, liebenswürdig unschäzbar, gleicht vollkommen den Raphael'schen Jünglingen, die sich auf der linken Seite der Schule von Athen um Bramante versammeln. Vespino hat aber unglücklicherweise das rechte Auge abermals unterdrückt, und da er nicht verläugnen konnte, hier liege etwas mehr als Profil zum Grunde, einen zweideutigen, wunderlich) übergebogenen Kopf hervorgebracht.

St. Matthäus, jung, argloser Natur, mit krausem Haar, ein ängstlicher Ausdruck in dem wenig geöffneten Munde, in welchem die fichtbaren Zähne eine Art, leisen Grimmes aussprechen, zu der heftigen

Bewegung der Figur passend. Von allem diesem ist bei Bespino nichts übrig geblieben; starr und geistlos blickt er vor sich hin; niemand ahut auch nur im mindesten die heftige Körperbewegung.

St. Thaddäus des Marcus ist gleichfalls ein ganz unschäßbarer Kopf; Aengstlichkeit, Verdacht, Verdruß kündigt sich in allen Zügen. Die Einheit dieser Gesichtsbewegung ist ganz köstlich, paßt vollkommen zu der Bewegung der Hände, die wir ausgelegt haben. Bei Vespino ist alles abermals ins Allgemeine gezogen; auch hat er den Kopf_dadurch unbedeutender gemacht, daß er ihn zu sehr nach dem Zuschauer wendet, anstatt daß bei Marcus die linke Seite kaum den vierten Theil beträgt, wodurch das Argwöhnische, Scheelsehende gar köstlich ausgedrückt wird.

St. Simon, der ältere, ganz im Profil, dem gleichfalls reinen Profil des jungen Matthäus entgegenstellt. An ihm ist die vorgeworfene Unterlippe, welche Leonardo bei alten Gesichtern so sehr liebte, am übertriebensten, thut aber, mit der ernsten, überhangenden Stirn, die vortrefflichste Wirkung von Verdruß und Nachdenken, welches der leidenschaftlichen Bewegung des jungen Matthäus scharf entgegengesteht. Bei Vespino ist es ein abgelebter, gutmüthiger Greis, der auch an dem wichtigsten, in seiner Gegenwart sich ereignenden Vorfall keinen Antheil mehr zu nehmen im Stande ist.

Nachdem wir nun dergestalt die Apostel beleuchtet, wenden wir uns zur Gestalt Christi selbst. Hier begegnet uns abermals die Legende, daß Leonardo weder Christus noch Judas zu endigen gewußt, welches wir gerne glauben, da nach seinem Verfahren es unmöglich war an diese beiden Enden der Darstellung die lezte Hand zu legen. Schlimm genug also mag es im Original, nach allen Verfinsterungen, welche dasselbe durchaus erleiden müssen, mit Christi nur angelegter Physiognomie ausge= sehen haben. Wie wenig Vespino vorfand, läßt sich daraus schließen, daß er einen kolossalen Christuskopf, ganz gegen den Sinn Vinci's, aufstellte, ohne auch nur im mindesten auf die Neigung des Hauptes zu achten, die nothwendig mit der des Johannes zu parallelisiren war. Vom Ausdruck wollen wir nichts sagen; die Züge find regelmäßig, gutmüthig, verständig, wie wir sie an Christo zu sehen gewohnt sind, aber auch ohne die mindeste Sensibilität, daß wir beinahe nicht wüßten, zu welcher Geschichte des neuen Testaments dieser Kopf willkommen seyn könnte.

Hier tritt nun aber zu unserm Vortheil der Fall ein, daß Kenner

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