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794. Die Erfinder des Ackerbaus wurden von den dankbaren Essern und Trinkern zu Göttern erhoben; seht nun, was aus denen geworden ist, die ihn jetzt in der grössten Vollkommenheit treiben, wie sie von denen angesehen werden, welche am meisten von ihren Erzeugnissen verzehren."

H. ERZIEHUNG

Auch was das erzieherische Problem anbetrifft, zeigen sich in Klingers Werken deutliche Spuren einer Beeinflussung durch Rousseaus Émile. In Das leidende Weib finden wir den jungen Grafen Louis als das Opfer der nach Rousseau absolut verkehrten Erziehung junger Männer in der Stadt und gar an einem Hofe, also in einer durchaus korrupten Umgebung. Schon auf seiner Geburt ruht der Makel des Ehebruchs, den sein angeblicher Vater sogar billigte, um durch den Fall der Gattin Geld und Ehrenstellen zu erwerben. Louis ist also von vornherein ohne den Erzieher aufgewachsen, dem nach Rousseau in erster Linie die Pflicht obliegt, den Geist eines jungen Mannes zu bilden, den Vater. Der unwillige und unwillkommene Vertreter desselben hält es auch nicht für nötig, seinen Pseudosohn zum Guten anzuhalten, sondern nährt sogar den Keim zum Bösen in dem jungen Manne "mit seinen Erzählungen überm Tisch" (S. 77).

An dem Hauslehrer des jungen Grafen scheint Klinger uns zeigen zu wollen, dass derselbe weder seinem eigenen, noch auch dem Ideal Rousseaus entspricht. Äusserlich erinnert dieser Hofmeister allerdings an denjenigen von Lenz. Denn auch er fühlt sich in seinem Beruf mehr als unbehaglich. "Ich schöss mir eine Kugel vor den Kopf," ruft er, "der Marter loszukommen. Stirbt nicht bald ein Amtmann, so ist das noch mein Ende" (ibid.) Der Dichter legt nun dem jungen Grafen Worte der abfälligen Kritik in den Mund, die Rousseau selbst geschrieben haben könnte: "Es soll mir keiner vor die Augen kommen, der Jahre lang Hofmeister gewesen ist, oder gar wohl zweimal. Er ist kein Mensch mehr" (S. 75). Bekanntlich sind nach Rousseau nur solche Persönlichkeiten zu Erziehern geeignet, die jung sind und vorher noch niemals Hofmeister waren:

"Je remarquerai seulement, contre l'opinion commune, que le gouverneur d'enfant doit être jeune, et même aussi jeune, que peut l'être un homme sage. Je voudrois qui 'il fût lui-même enfant, s'il étoit possible; qu'il pût devenir le compagnon de son élève, et s'attirer sa confiance en partageant ses amusements. Il n'y a pas assez de choses communes entre l'enfance et l'âge mûr pour qu'il se forme jamais un attachement bien solide à cette distance. Les enfants flattent quelquefois les viellards, mais ils ne les aiment jamais. On voudroit que le gouverneur eût déja fait une éducation. C'est trop, un même homme n'en peut faire qu'une; s'il en falloit deux pour réussir, de quel droit entreprendroit-on la première?''

Louis beklagt sich ferner, dass man durch unaufhörliches Verbot seine Nerven gereizt habe.

"Was nützt mir Ihre Metaphysik," ruft er. "Ihre Geisterlehre und Alles. Meynen Sie denn, ich wollte mir den Kopf vollpropfen mit dem Zeugs? Was hier liegt, seh' ich: was gehen mich Ihre Philosophen und Monaden alle an? Kurz um, ein Mädel ist mir lieber als das all' "' (S. 74).

Vielleicht spricht der arme Teufel von Lehrer die Wahrheit, wenn er weiter unten sagt (S. 75): "Wenn mir's nicht am Herzen läge, Ihnen edle Gesinnungen beyzubringen hat es nur verkehrt angefangen.

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Rousseau will die Kinderzeit so viel wie möglich verlängert wissen. Er will eher, dass man Zeit verliere, als dass man die Entwickelung beschleunige.

"Oserois-je exposer ici la plus grande, la plus importante, la plus utile règle de toute l'éducation? ce n'est pas gagner du temps, c'est d'en perdre. . . . La première éducation doit donc être purement négative'

...

Besonders fürchtet Rousseau, dass bei zu früher Entwickelung der Einbildungskraft der Geschlechtstrieb zu früh erwachen möchte.

"Si l'âge où l'homme acquiert la conscience de son sexe diffère autant par l'effet de l'éducation que par l'action de la nature, il suit de là qu'on peut accélérer et retarder cet âge selon la manière dont on élèvera les enfants; et si le corps gagne ou perd de la consistance à mesure qu'on retarde ou qu'on accélère ce progrès, il suit aussi que, plus on s'applique à le retarder, plus un jeune homme acquiert de vigueur et de force. ''s

1 Emile, i, 52 f.

2 Ibid., ii, 150 f.

3 Ibid., iv, 15 f.

Die sogenannte negative Erziehung ist also bei Louis in der ersten Periode seines Lebens versäumt worden. Der Hofmeister hatte offenbar diese allerdings recht schwierige Kunst nicht einmal in ihren Anfangsgründen erfasst und bei seinem Zögling durch "Heimlichtuerei" alles verdorben, anstatt ihn, wie dies Rousseau im Émile verlangt, in würdiger Weise über die Geheimnisse der verchiedenen Geschlechter aufzuklären.* Dies hat der Hofmeister augenscheinlich nicht getan, oder nicht tun dürfen, und statt dessen den jungen Grafen seine "jämmerliche Philosophie" anzuhören gezwungen, wovon er "nichts verstand und begriff."

"Von den frühsten Jahren ist man ums Frauenzimmer, sieht die schönsten Gestalten immer vor sich, wächst dabei auf, und die vordringende Begierde ihr kommt dann, wollt sie zurückhalten," grollt Louis des Weiteren zur Rechtfertigung seines wüsten Lebenswandels. "Der Schwache nur unterliegt der Begierde," antwortet zwar der Hofmeister, denkt aber nicht daran, dass er seinen Zögling hätte von der Versuchung fernhalten sollen.

Schon längst hätte Louis der verderblichen städtischen und höfischen Umgebung entrissen und aufs Land gebracht werden müssen. Dort hätte sich der junge Mann, wie dies Rousseau im Émile verlangt, unter der Anleitung seines Hofmeisters "das Ideal eines Wesens des anderen Geschlechts" bilden sollen. Dort hätte ein Thron in seinem Herzen errichtet werden müssen, damit die Sinnlichkeit und Phantasie nicht von tierischen Antrieben beherrscht werden möchten. "Nous nous moquons des paladins, c'est qu'ils connoissoient l'amour, et que nous ne connoissons plus que la débauche."

Klinger stellt uns also Louis als ein Opfer von an ihm begangenen Unterlassungssünden dar. Mit dem oben Ausgeführten ist es hinlänglich klar bewiesen, dass die Szene zwischen Louis und dem Hofmeister zwar äusserlich von Lenzens Hofmeister

+ Emile, iv, 17 ff. 5 Ibid., iv, 291 ff. e Ibid., v, 88.

angeregt sein mag, in ihrer Grundidee aber direkt auf den Einfluss des Rousseauschen Émile zurückführt, und zwar schon deshalb, weil Rousseau, wenn auch unter sehr bestimmt ausgedrückten Bedingungen, für eine häusliche Erziehung eintritt, während Lenz im Hofmeister gegen die "Nachteile einer PrivatErziehung" zu Felde zieht.

Der Repräsentant des Sturms und Drangs in der Neuen Arria ist Julio. Ohne Zweifel hatte der Dichter bei der Schöpfung dieser Figur sein eigenes Ich im Auge. Am Anfang des Trauerspiels sieht sich Julio durch missliche äussere Verhältnisse eingeengt und in seiner Tatenlust behindert. Schon im dritten Auftritt des ersten Aufzugs tauchen Erinnerungen an den Émile auf:

Julio-Mein alter werther Vater! heute wo Sturm meine Seele hin und her reisst, dank' ich deiner heiligen Asche, dass du mir ein Ziel der Ruhe und Genügsamkeit aufgesteckt hast! Noch hör ich deine letzten Worte, die du sagtest, als du mich an dein Herz drücktest: Julio! mit diesen Gesinnungen, mit diesen Empfindungen wirst du so wenig durch die Welt kommen, als ich. Versuch's und lern's durch Erfahrung. Hast du's gesehen, und es taugt dir nicht mehr, dann kehr' zu mir, und bin ich nicht mehr, so schlag deine Wohnung in der Werkstätte auf und erwirb unabhängig dein Brot. Dieser Mann lehrt's dich, und du wirst mich segnen.

"De toutes les occupations qui peuvent fournir la subsistance à l'homme, celle qui le rapproche le plus de l'état de nature est le travail des mains: de toutes les conditions, la plus indépendante de la fortune et des hommes est celle de l'artisan. L'artisan ne dépend que de son travail, est libre, . . . Apprends un métier.'' 7

Im Sinne Rousseaus hat also auch der Vater unseres Julio seine Mission aufgefasst und wir werden an die folgende Stelle im Émile erinnert: "Qui donc élèvera mon enfant? Je te l'ai déja dit: toi-même. "'s

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Im Orpheus sagt der König zu Ali (iv, 85): ... und doch muss der Erziehungsplan von der Geburt anfangen." Das ist wörtlich aus dem Émile zitiert, wo Rousseau sagt: "L'éducation de l'homme commence à sa naissance."

7 Emile, iii, 400 f.

8 Ibid., i, 48.

9 Ibid., i, 79.

Der Rousseausche Gedanke des langsamen Vorgehens bei der Erziehung eines Menschen im Speziellen und der eines Volks im Allgemeinen findet im Oriantes ebenfalls seine Wiedergabe. Schon auf der ersten Seite erklärt die Nemesis: "Der stolze König dieses Landes wähnet gross zu handeln, da er der Götter Leitung kühn vorgreift." Ferner sagt Oriantes (S. 80):

"Wenn es dem Menschen eigen ist, durch einen Kreis von Veränderungen zu laufen, warum erzwangst du, was durch ihn selber werden musste? Warum musstest du den Griechen auf den Thrazier pflanzen? Warum konnte der eigne und bessre Mensch nicht aus dem Thrazier selbsten keimen?"

Und wenn der König am Ende moralisch der Besiegte ist, so besteht seine tragische Schuld vorwiegend darin, dass er, wie die Nemesis sagt, den Göttern vorgreift, statt sein Volk Schritt für Schritt der Kultur zuzuführen.10

Ganz im Sinne des Genfer Philosophen vollzieht sich die Erziehung Raphaels de Aquillas (iv, 6):

"Er bedurfte keines Lehrers, der ihm Dinge zur Pflicht machte, die, wenn sie nicht aus der Natur unseres Wesens keimen, selten mehr sind, als kalte Regeln, die der Verstand, um gewisser Vortheile willen, anerkennt. In dem Thun seines Vaters lag seine Erziehung."

"Nie sprach der Greis [Raphaels Vater] mit ihm, von jenem unfasslichen Wesen, das die Menschen Gott nennen. Weder dogmatische Machtsprüche, noch metaphysische Spitzfindigkeiten konnten die Vernunft des Jünglings einengen und seine Einbildungskraft verwirren" (iv, 13).

In derselben Weise fasst auch der Vater Ben Hafis in Faust

der Morgenländer seine Mission auf. Ben Hafi sagt dort (vii, 270): "Der Vater lehrte mich den Fischfang und den Feldbau."

Im Sinne Rousseaus sind die beiden Erzieher in der Geschichte eines Teutschen jung und nicht Lehrer von Beruf. Von Hadem heisst es (viii, 9), dass er Feldprediger gewesen sei, und

10 Hierzu bemerkt Heuer: "Auch im Oriantes finden wir die Anknüpfung an Rousseaus Ideen, aber seine Kulturfeindschaft ist hier auf die Aufdeckung der Schäden eingeschränkt, die eine überhastete, tyrannisch aufgezwungene Kultur im Gefolge hat. Klinger hatte ja genug Gelegenheit gehabt zu sehen, wie dünn dieser Kulturfirniss auf dem Russen lag, wie er nicht veredelnd, sondern demoralisierend wirkt." (Klinger, zu seiner 150 jährigen Geburtstagsfeier, Jahrb. d. f. d. Hochstifts, 1902, S. 318.)

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