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als die eigentliche Wurzel der Sturm- und Drangperiode bezeichnet worden ist.3

Der Einfluss des Genfer Philosophen auf das deutsche Schrifttum namentlich der Sturm- und Drangperiode ist hinlänglich bekannt. Die Lehren des Propheten der französichen Revolution mussten auf der rechten Seite des Rheins, in dem Deutschland, das damals immer noch nicht mehr als ein geographischer Begriff war, lediglich geistig wirken. Die gallischen Taten und Untaten spielten sich im Lande der "sechsunddreissig Monarchen"-damals waren es ihrer noch mehr-auf dem Papiere ab. "Die Männer des Sturmes und Dranges schrieben, weil sie nicht handeln durften. Ihre Worte sind erstickte Taten. ''4

"Für das hochentwickelte französische Bürgertum fliesst aus Rousseaus Protestschriften die demokratische Idee, die Souveränität des Volkes, die Gleichheit aller Menschen, die nur durch die Kultur künstlich differenziert worden sind. Diese Bewegung endet in der Erklärung der Menschenrechte. Das politisch unreife deutsche Bürgertum nimmt dieselbe Bewegung als eine ethisch-literarische und pädagogische auf. Dort wird der Contrat Social mit blutiger Schrift in die Politik übersetzt, hier wird Émile in das Leben übertragen, seine Tendenzen werden praktisch verwertet. Der Weg von Rousseau führt hier nicht zu Robespierre sondern zu Pestalozzi.''

Klinger war eine zu empfängliche Natur, um sich den Strömungen seines bewegten Zeitalters entziehen zu können. Rousseau gewann aus diesem Grunde schon sehr früh Einfluss auf ihn. Rieger nennt Klinger geradezu den "Apostel" des "Propheten" Rousseau."

Dass Klinger den Genfer Philosophen mit starker Beihülfe eines Wörterbuches las, davon berichtet uns Muralt' in seiner

3 Geschichte der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts (Berlin, 1879), iii, S. 4.

4 Eloesser, Das bürgerliche Drama. Seine Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert (Berlin, 1898), S. 125.

5 Ibid., S. 122.

Rieger, Klinger (Darmstadt, 1896), ii, S. 356.

7 Mitgeteilt von H. Dalton, Archiv f. Literaturgesch., vi, S. 111 ff.

Rede am Grabe des Dichters. Leider lässt es sich aber nicht genau feststellen, wann der junge Klinger den Émile zuerst in die Hände bekam. Ein auffallende Beeinflussung durch Rousseau ist erst in Das leidende Weib bemerkbar, in welchem Drama Rousseau sogar erwähnt wird. Das erste Jugenddrama Klingers, Otto, gemahnt schon in der äusseren Form an Shakespeare und noch mehr an den Götz. Die Einführung der Kinder im Otto ausschliesslich Rousseau'scher Einwirkung zuschreiben zu wollen, wäre allzuweit hergeholt. Mit Recht weist schon Montague Jacobs darauf hin, dass die betreffenden Kinderszenen auf den Einfluss Shakespeares und vor allem auf Gerstenbergs Ugolino und den Götz zurückzuführen sind. Das Leidende Weib schrieb Klinger jedoch augenscheinlich noch warm von der Lektüre Rousseaus nieder. Das Fehlen unmittelbar auf Rousseau zurückzuführender Züge im Otto und die Verherrlichung des Genfers in Das leidende Weib berechtigt uns zu der Annahme, dass Klingers erste Bekanntschaft mit dem Émile und der Héloise zwischen die Schöpfungszeit der beiden genannten Dramen fällt.

Die mit Das leidende Weib beginnende und in allen späteren Werken Klingers wahrnehmbare Beeinflussung durch Rousseau ist von der deutschen Kritik wiederholt hervorgehoben worden. Schon Goethe rechnet ja Klinger zu den Jüngern des Rousseauschen "Naturevangeliums.""" Gervinus 10 sagt von Klinger: "Rousseau war der eigentliche Liebling seiner Seele, sein Lehrer in seiner empfänglichsten Zeit. Émile war ihm das erste Buch des Jahrhunderts, der neueren Zeit." Hillebrand11 nennt Klinger einen Zögling Rousseaus und erwähnt die Einwirkung Rousseaus auf den Roman Die Geschichte eines Teutschen. Scherer12 spricht von dem "Rousseauschen Naturkultus" in Klingers Dramen. Koch13 nennt ihn einen "starren An

8 Jacobs, "Gerstenbergs Ugolino," Berliner Beiträge, xiv, 1898, S. 53 ff. 9 Dichtung und Wahrheit, iii, S. 254.

10 Geschichte der deutschen Dichtung (Leipzig, 1873), iv, S. 669.

11 Deutsche Nationalliteratur (Hamburg, 1875), i, S. 419.

12 Geschichte der deutschen Literatur (Berlin, 1902), S. 502.

13 Vogt und Koch, Geschichte der deutschen Literatur (Leipzig und Wien, 1904), ii, S. 277.

hänger" Rousseaus. Hettner1 führt den "einheitlichen Grundgedanken" in Klingers Jugenddramen auf das Rousseausche Sehnen nach ursprünglicher und unverfälschter Menschheit, den Rousseauschen Groll und Kampf gegen die Enge und Bedrängtheit der sittlichen und gesellschaftlichen Herkömmlichkeit zurück. Sauer15 bemerkt, dass Klinger zu Rousseau in die Schule gegangen sei und diese Entwickelung in der Geschichte eines Teutschen selbst beschrieben habe. Eingehendere Angaben liefert uns, was diesen Punkt betrifft, Erich Schmidt in seinem lehrreichen Werke Lenz und Klinger.16 Es heisst daselbst u. a. auch mit Bezug auf die anfängliche Armut Klingers: "Jeder äussere Druck schärft den Blick für die Gegensätze der Lebensverhältnisse, erhitzt die Wünsche, macht Standesunterschiede immer empfindlicher. Wer daher kein Duckmäuser wird, pflegt den Kopf desto höher zu tragen. Die Einsamkeit nährt sowohl Schroffheit und Weltverachtung als auch weiche Sehnsucht im Gemüt. Was Wunder, dass Klinger in Rousseau bei der ersten Bekanntschaft seinen Führer, Freund und Retter begrüsst. Diese Lehre, welche die Welt so alt und schal fand, Despotismus und Aristokratie hasste, im Bürgertum den frischen Hauch vermisste, aber liebend zu den niederen Ständen herabstieg, welche den Berufsphilister wieder zum Mensch erheben und unter dem Rufe ramener tout à la nature' durch allen Wust der falschen, verderblichen Kultur hindurch zu der ungetrübten, reinen Ursprünglichkeit dringen wollte, gewann in ihm einen begeisterten Anhänger. Was bei anderen, so bei Goethe, nur eine vorübergehende Stimmung, fast nur eine Art von Mauser war, setzte sich in Klinger als Lebensanschauung fest. Rousseaus Émile blieb ihm das Buch der Bücher."

In Arthur Moeller van den Brucks Verirrte Deutsche1 lesen wir das Folgende: "Der Rousseauaner des Sturm und Drangs war Klinger wie kein anderer. . . . Klinger ging Rousseau über

14 Geschichte der deutschen Literatur (Braunschweig, 1879), iii, S. 255. 15 Vorrede zu "Stürmer und Dränger," Deutsche Nationalliteratur, Bd. 79, S. 27.

16 Minden, 1904, S. 181 f.

17 S. 55.

alles, er war der Rousseauaner von damals so ausschliesslich, wie der Jüngling von heute Nietzscheaner ist. Den Émile trug er mit sich wie seine Bibel. . . . Später, als er sich zu einer Stellung in der Welt durchgerungen und mit Ernst und Gesetztheit daran ging, sich Rechenschaft zu geben über die geistigen Gänge und Irrgänge, die hinter ihm lagen, auch da war Rousseau für ihn noch immer der Inbegriff aller Philosophie und Ethik, hat er sich nicht mehr in ein tosendes, vielmehr ein schlichtes und stilles Verhältniss zu ihm gesetzt, wie zu einem Freunde und Vater. Doch noch immer begeisterte Rousseau den alten Klinger."

Jacobowski sagt in der oben erwähnten Schrift: "Je älter und reifer er wurde, desto schwächer wurden die Erinnerungsbilder in ihm. Vom Jahre 1780 an machte sich der Eindruck Schillers nachhaltig bei ihm geltend, verbunden mit einer Reaktion gegen Shakespeare . . . aber auch Schillers Einfluss erlosch, denn Klingers Individualität war derart beschaffen, dass nur Schillers vier erste Dramen ihn packen konnten. Und so ist in seinen letzten Dramen und Romanen nur noch der Einfluss Rousseaus stark zu verspüren, ein Beweis, wie enthusiastisch er den Genfer Träumer geliebt hat. Wie ein milder Stern hat dessen Einfluss von Jugend an ihm geleuchtet bis in sein hohes Alter hinein und legt Zeugniss ab, wie wenig innere Entwickelung Klinger durchgemacht hat. Aber gleichzeitig liegt darin eine rührende Treue und Hingabe an die Ideale seiner entbehrungsvollen Jugend."

Aus derselben Feder stammt noch der folgende Ausspruch:18 "Er trat mit Plebejerfüssen durch die Literatur, so ein Stück Rousseau, aber seine Seele hatte die Vornehmheit eines Adelsmenschen."

Im Anschluss seiner Besprechung des Orpheus schreibt Gschwind:19 "Freilich wenn hier Klinger im Verhältniss der Geschlechter alles auf den Naturtrieb und das Recht des Stärkeren zurückführt und einem brutalen Naturalismus und renommistischen Kultus der Manneskraft huldigt, so hat sich ein im

18 Jacobowski, "Zu Klingers Gedächtniss," Literarisches Echo, ii, S. 19. 19 Gschwind, "Die ethischen Neuerungen der Frühromantik, Unters. zur neueren Sprach- und Literaturgesch. (Bern, 1903), S. 15.

Grunde edler Geist unter dem Einfluss eines heissen Blutes und unter der Erhitzung des Geniewesens weit über den geschätzten Rousseau hinaus verirrt, durch den Rückkehr zur Natur neuerdings und nachdrücklicher als je zuvor Losung für die Moral geworden war."

Genauer, wenn auch durchaus nicht systematisch, beschäftigt sich Rieger in seinem biographischen Werke über Klinger mit dessen Beziehungen zu Rousseau. Im Verlaufe unserer Abhandlung werden wir auf sein Urteil noch wiederholt zurückkommen.

In den folgenden Ausführungen machen wir nunmehr den Versuch, den Einfluss Rousseaus auf Klinger in allen seinen Einzelheiten nachzuweisen.

II. AUSDRÜCKLICHE BEZUGNAHME AUF ROUSSEAU

IN KLINGERS WERKEN

In wie hohem Ansehen Rousseau bei Klinger stand, davon giebt schon allein der Umstand Zeugnis, dass er in den Werken des Dichters sehr oft erwähnt wird; wiederholt geschieht dies in Verbindung mit den Namen anderer Grössen, hin und wieder auch werden die Werke des Genfers zitiert.

Das leidende Weib enthält folgende Stelle (S. 68):

Julie-Der Petrarka taugt nichts für uns, seh ich wohl, und seine Heloyse kann er auch wieder holen lassen. Ich und Julie trennten uns, so bald ich an den Brief kam, mourons, mourons ma douce amie!

Franz-Schilt mir das Buch nicht! Es ist das einzige von den vielenund ist von meinem Rousseau.

Julie-Was geht mich das an? Ich habs ganz gelesen, sey nur zufrieden!

Köstlich klingt in dem Lustspiel Der Schwur gegen die Ehe folgende Kritik der Neuen Heloise aus dem Munde des frühreifen Martano (i, 412):

"Vor Kurzem gab mir der Graf die neue Heloyse. Des St. Preux and der Julie Briefe sind hin und wieder zu gebrauchen, besonders, wo sie ins Geistige gehen, das ich nicht versteh', aber vorzüglich liebe, und ich empfinds geradeso würde ich lieben.''

Wenn wir nun noch erfahren, dass der Bursche seinen "Geist und Stil an Crebillon gebildet hat," so erscheint uns der etwas

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