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ten zu wollen, ein Gelübde, von dem er von vornherein weiss, dass er es nicht wird halten können. Giafar will etwas leisten, was über seine Kraft hinaus reicht und geht daran zu Grunde. In diesem Sinne äussert sich auch Leviathan ihm gegenüber,. wenn er sagt (v, 370): “Du schweiftest in der Tugend auswolltest ein Gott seyn."

Dagegen kommt Giafar kurz vor seinem Ende zur Selbsterkenntniss (v, 372): "Ich fühle die Grenzen, in die ich eingeschlossen bin, und handle nach diesen Grenzen.

C. DIE EINBILDUNGSKRAFT.

Wollen und Können geraten nach Rousseau in Konflikt, wenn das Individuum infolge seiner Einbildungskraft über sein Können hinausstrebt. Die Einbildungskraft hebt also das Gleichgewicht zwischen Bedürfnis und Vermögen auf.

Es heisst u. a. im Émile:

"Le monde réel a ses bornes, le monde imaginaire est infini: ne pouvant élargir l'un, rétrécissons l'autre; car c'est de leur seule différence que naissent toutes les peines qui nous rendent vraiment malheureux. Ôtez la force, la santé, le bon témoignage de soi, tous les biens de cette vie sont dans l'opinion; ôtez les douleurs du corps et les remords de la conscience, tous nos maux sont imaginaires. ''1

"L'existence des êtres finis est si pauvre et si bornée, que, quand nous ne voyons que ce qui est, nous ne sommes jamais émus. Ce sont les chimères qui ornent les objects réels; et si l'imagination n'ajoute un charme à ce qui nous frappe, le stérile plaisir qu'on y prend se borne à l'organe, et laisse toujours le coeur froid. ''2

"L'esprit qui ne forme ses idées que sur des rapports réels est un esprit solide; celui qui voit les rapports tels qu'ils sont est un esprit juste; celui qui controuve des rapports imaginaires qui n'ont ni réalité en apparence est un fou.''

Solche Narren treten uns schon in Sturm und Drang entgegen. In der ersten Szene ruft der überspannte La Feu: "Zauber meiner Phantasie, wandle in den Rosengarten von Phyllis Hand geführt. . . . Es soll mir nicht fehlen, das schwarze verrauchte Haus gegenüber, mitsamt dem alten Turm, in ein Feenschloss zu verwandeln!" In der zweiten Szene baut der alte Berkley Kar1 Emile, ii, 119. 2 Ibid., iii., 312. 3 Ibid., iii, 419 f.

tenhäuser, "bedeutend Sinnbild meines verworrenen Lebens!" In der ersten Szene des zweiten Akts ruft Wild: "Gott sei dank, dass die Einbildung die Ferne so herrlich sieht!" Ferner La Feu am Eingange des dritten Akts: "Ich wollt' mich so selig träumen, so glücklich! Träumen muss der Mensch, lieber Blasius, wenn er glücklich sein will, und nicht denken, nicht philosophieren!"-Und endlich La Feu im letzten Akt: "Ich will träumen bis an meinen letzten Tag."

Charakteristisch für die Absichten Klingers in Bezug auf Rousseau scheint uns in dieser Hinsicht die ganze Figur des La Feu, der sein Ideal in einem alten hässlichen Weibe sucht und schliesslich in der bejahrten Kokette Lady Katherine findet. Die oben angedeutete Idee Rousseaus wird in solcher Weise mit oder ohne Absicht, aber jedenfalls ganz unübertrefflich karrikiert.

Wild, der Held des Stücks, ist der Kraftmensch im Rousseauschen Sinne und der Stürmer und Dränger, welcher die Enge menschlicher Verhältnisse fühlend, sich zu physischer und moralischer Freiheit durchringen möchte. Er kämpft deshalb in Amerika auf der Seite der Freiheitssucher. Dass er dies nicht der letzeren, sondern nur seinetwegen tut, ändert an der Sache nichts. Am Ende lässt sich Wild aber nur zu gern in die Bande der Liebe fesseln, eine Tatsache, in welcher wir wohl ein sicheres Anzeichen der Abrüstung auf Seiten des Dichters erblicken. können, ein deutlicher Wink, dass Klingers Befreiung vom Sturm und Drang nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen werde. Auch Wild ist eine Karrikatur, und zwar eine unbeabsichigte.

Ein recht unwahrscheinliches Zerrbild hat der Dichter in Lord Berkley geschaffen. Dieses kartenhäuserbauende, vor Rachedurst kindische alte Individuum ist noch dazu Führer der englischen Truppen gegen ein für seine Freiheit kämpfendes Volk. Wenn alle englischen Offiziere der damaligen Zeit solche läppische Tröpfe waren wie dieser Lord Berkley, so wundert es uns freilich nicht, dass die Engländer schliesslich das Land räumen mussten.

Bis ins Fratzenhafte verzerrt erscheint uns in den oben geschilderten Figuren die Rousseausche Idee von dem Wollen, welches das Können übersteigt, von der Einbildungskraft, die auf Abwege oder in lächerliche Situationen führt.

Im Orpheus (iii, 106) ruft die drollige "Alte" im Zauberwalde Linkos mit Bezug auf Plato und die liebesbedürftigen Prinzessinnen: "Setzt Eure Labsal in die Phantasie, und in Eurem Innren wirds auftrocknen.'

Dass Faust in dem gleichnamigen Roman mit glühender Einbildungskraft ausgestattet ist, wird in dem Werke an zwei Stellen (iii, 4 u. 24) hervorgehoben. Durch diese Einbildungskraft verführt überschreitet Faust die Grenzen seines Könnes und verfällt dem Satan.*

In dem folgenden Ausspruch in den Gedanken und Betrachtungen decken sich des Dichters Ansichten vollständig mit denjenigen seines Vorbildes:

471. Est ist eine traurige und niederschlagende Bemerkung, dass von tausend Verbrechen, die von dem Menschen in der Gesellschaft begangen werden, kaum eine aus wahrhafter Not entsteht, dass sie meistens allein aus dem entspringen, was die Menschen Phantasie nennen, was sie sich zu Bedürfnissen erkünstelt haben.

D. HERZ UND VERSTAND.

In demselben Masse wie Rousseau Selbstliebe und Eigenliebe in scharfen Gegensatz bringt, unterscheidet er auch zwischen Herz und Verstand. Das Herz oder Gefühl ist nach ihm die ursprüngliche und erste Triebfeder im menschlichen Dasein. Das Gefühl birgt die amour de soi in sich, während der berechnende Verstand etwa der amour propre entspricht und dieselbe jedenfalls herbeiführt.

In diesem Sinne lässt sich Julie, ohne den Verstand zu fragen, von ihrem Gefühl leiten: "Elle met toujours le sentiment

4 Rieger bemerkt hierzu: "Die ganze Art von Schriftstellerei, in die sich Klinger mit Faust einliess, war offenbar von Voltaire bedingt. Er hatte für diesen vielgeschmähten Popularphilosophen in der Zeit seiner Reife mehr übrig als das Geschlecht der deutschen Genies, mit dem er aufgekommen war, und mehr als andrerseits mit seiner Begeisterung für Rousseau vereinbar scheint' (Klinger, ii, 249).

à la place des raisons, et le rend si touchant qu'il faut toujours l'embrasser pour toute résponse.

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In der Neuen Heloise sowie im Émile finden sich, was diesen Punkt betrifft, noch folgende bezeichnende Aussprüche:

"O sentiment! sentiment! douce vie de l'âme! quel est le coeur de fer que tu n'as jamais touché?''1⁄2

66

Tout ce que je sens être bien est bien, tout ce que je sens être mal est mal. ''3

"Quand tous les philosophes du monde prouveroient que j'ai tort, si vous sentez que j'ai raison, je n'en veux pas davantage.

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"On a beau vouloir établir la vertu par la raison seule, quelle solide base peut-on lui donner?''

"La seule raison n'est point active; elle retient quelquefois, rarement elle excite, et jamais elle n'a rien fait de grand. Toujours raisonner est la manie des petits esprits. ''6

"Je ne serai point long et diffus en froides maximes, mais abondant en sentiments qui débordent.''7

Es wäre jedoch absurd zu gauben, dass Rousseau die Vernunft als antreibende Kraft gänzlich verwirft. Er wünscht offenbar, dass die Vernunft aus dem Herzen kommt. Auch soll sie eine vollständige Herrschaft des Gefühls über den Menschen verhindern. In diesem Sinne äussert er sich wie folgt:

"Tous les sentiments que nous dominons sont légitimes; tous ceux qui nous dominent sont criminels."

Ferner sagt er sogar":

"La raison seule nous apprend à connoître le bien et le mal.'

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Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass sich Klinger, auch was den Gegensatz von Herz und Verstand betrifft, an sein Vorbild anlehnt.

1 La Nouvelle Héloise, v, 127.

2 Ibid., v, 133.

3 Emile, iv, 187.

4 Ibid., iv, 194.

5 Ibid., iv, 198.

6 Ibid., iv, 272.

7 Ibid., iv, 278. 8 Ibid., v, 219. 9 Ibid., i, 91.

Verstand und Gefühl werden in den Spielern an folgender

Stelle gegenübergestellt (i, 141):

Stahl-Ich bin eine einfältiger Mann, und so denk' ich, dass das Welt auf, Welt ablaufen, das Menschen kennen lernen unser Herz aus

trocknet.

Marquis-Aber der Verstand gewinnt.

Stahl-Freylich, freylich, aber ob wir so recht im Grunde gewinnen Mich däucht, es ist doch ganz gut, ein frisches Herz, wenig Zweifel und viel, viel Glauben ans Gute zu haben.

Obwohl der Marquis oft seinem Gefühle folgt, spricht er wiederholt mit grosser Befriedigung von seinem Verstande, z. B. i, 167:

"Aller Genuss liegt vor mir da, mein Verstand zeigt mir den Weg zu allen, und meine glühende Phantasie kennt keine Grenzen ihres Begehrens."'

Im Rousseauschen Sinne sind also des Marquis' Verderben der Verstand und die Phantasie gewesen. An die Stelle der unmittelbaren Anschauung, des Gefühls und des Instinkts trat bei ihm die Verstandesaufklärung, und die Phantasie beraubte ihn seines festen Haltes im Leben.

In dem Trauerspiel Aristodemos stellt der Dichter antike Heldengrösse und klassische Opferfreudigkeit neben die Stimme der Natur. Während Aristodemos und seine Tochter Hermione die eine Seite repräsentieren, sehen wir die Mutter Lysandra und auch den Liebhaber Kleonnys als Vertreter des natürlichen Gefühls. Gewiss muss uns die Grösse der Hermione und des Aristodemos imponieren, zugleich lässt uns der Dichter aber durchaus nicht den Eindruck verlieren, dass er nicht ganz damit einverstanden ist, dass ein herrliches Geschöpf wie Hermione dem Wahn und Aberglauben zum Opfer fallen soll. Nicht ganz mit Unrecht sagt daher Lysandra zu Aristodemos (ii, 118):

"Dein Herz gleicht dem Erze, woraus dein Schwert geschmiedet ist. Tolle Ruhmsucht erstickt in dir die Stimme der Natur!"

Und weiter unten (ii, 122):

"Bis zum Frevel treibt ihr die eingebildete Tugend, und fragt nicht unser Herz, vergesst, was wir leisten können, und reizet die Schwäche zum Verbrechen! Ja, Ruhm und Herrschsucht sind des Mannes tolle Begierden, und diese ersticken die heiligsten Pflichten."

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