Nun wollen wir die mehr individuellen Eigentümlichkeiten einiger Gestalten betrachten, wozu auch das Verhältnis gehört, in dem sie zu einander stehen, um hierauf das Spiel dieser beiden Gruppen von Faktoren in dem Übergang vom Verschwörer zum Verräter zu verfolgen.17 2. EINZELNE CHARAKTERE Da nicht nur die Art der Einbildungskraft des Neuromantikers eine ähnliche ist, wie die des shakespeareischen Dichters, sondern auch Otway schon über seine Zeit hinaus etwas in die Romantik ragt, so finden wir einige Merkmale welche den englischen Jaffier sehr nahe zu dem modernen Neurastheniker bringen, wie wir ihn bei der Darstellung seiner komplizierten Natur kennen lernten. An Zerfahrenheit gibt der Jaffier Otways dem Deutschen kaum etwas nach. Noch auf dem Weg zum Senat, d. h. zum Verrat, möchte er mehr wie einmal umkehren. Er ist eben fast ganz von Stimmungen abhängig, weil er von ihnen mit unheimlicher Gewalt erfaßt wird. Mit welch optimistischer Begeisterung nimmt er doch die Verschwörung auf! PIERRE: Rats die in holes and corners, dogs run mad; Die!-damn first!-what! be decently interred In a church-yard, and mingle thy brave dust With stinking rogues that rot in dirty winding-sheets, Oh! JAFFIER: PIERRE: Well said, out with it, swear a little 17 Ganz reinlich die zwei genannten Gruppen scheiden, konnte ich nicht, 1) weil kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen den beiden Gruppen vorhanden ist, 2) weil sonst die einheitliche Darstellung der Persönlichkeit, besonders bei den Frauen, zu sehr gelitten hätte. Sobald wir ihn aber nachts auf dem Rialto auf Pierre wartend antreffen, ist er ganz trüben Reflexionen unterworfen. Die unheimliche Zeit, die düstere Rialtogegend und das finster ragende Verhängnis umdüstern sein Gemüt: JAFFIER: I'm here; and thus, the shades of night around me, I look as if all hell were in my heart, And I in hell. Nay, surely, 'tis so with me; For every step I tread, methinks some fiend Sure I'm so cursed that, though of heaven forsaken, Er ist vor Furcht dem Beten nahe. Als Pierre, der bald kommt, ihm im Laufe der Unterredung Geld gibt, da verschwimmen seine finsteren Phantasieen mit der Wirklichkeit und der Freund erscheint ihm als der höllische Versucher; dann erwähnt Pierre Priuli, und nun ist Jaffier ganz mit Wut erfüllt. JAFFIER: I but half wished To see the devil, and he's here already. PIERRE: When last we parted, we'd no qualms like these, JAFFIER: Kind Heaven! let heavy curses PIERRE: Nay, couldst thou not As well, my friend, have stretched the curse to all JAFFIER: But curses stick not: could I kill with cursing, By Heaven! I know not thirty heads in Venice Should not be blasted; senators should rot Like dogs on dunghills; but their wives and daughters Nachdem ihm dann Pierre mehr von der Verschwörung mitgeteilt hat, fühlt er sich so gehoben, daß sein Treuschwur in lyrischer Begeisterung aus ihm hervorbricht. Swear then! PIERRE: JAFFIER: I do, by all those glittering stars, And yon great ruling planet of the night! By all good powers above, and ill below! By love and friendship, dearer than my life! No power or death shall make me false to thee. (II, 2.) Und noch eine Minute vorher wünschte er, wie Pierre von Dolchen sprach, einen Freund, der ihn erstäche (II, 2). Alle diese Schwankungen vollziehen sich, ohne daß sich eigentlich an seiner Kenntnis der Sachlage viel änderte: denn schon am Ende der ersten Szene mit Pierre weiß er, daß eine Verschwörung gegen die Herrschenden geplant wird, und mehr weiß er im Grunde genommen am Ende dieser Szene auch nicht. Gegenüber Servilius, dem Verstandesmenschen, der in seiner Stellung zu der Verschwörung sich gleich bleibt, bis Valerie durch logische Argumente ihn das Unternehmen in ungünstigem Lichte erblicken läßt, mutet uns der Jaffier Otways ziemlich nervös an. Ganz in dieses Bild paßt auch sein Reflektieren über sein Loos, da wo Handeln oder zum mindesten das Ausdenken von Plänen für späteres Handeln angebracht wäre; so z. B. sagt er, nachdem Pierre versucht hat, ihn für die Verschwörung zu gewinnen: Tell me why, good Heaven, Thou madest me what I am, with all the spirit, That fill the happiest man? Ah, rather why Base-minded, dull, and fit to carry burdens? (I, 1.) Immerhin ist dieses Sich-Selbst-Betrachten nicht so innig und typisch mit seinem Wesen verschmolzen wie bei dem modernen Jaffier.18 Mit dieser weniger starken Selbstanalyse bei Otways Jaffier hängt ein Mangel an Kritik zusammen, der ihn sehr wesentlich von der Gestalt Hofmannsthals unterscheidet. Beispielsweise entspringt aus dieser häufigen Kritiklosigkeit gelegentlich ein durchaus naives Renommieren. Großenteils aus Prahlsucht erzählt er seiner Gattin von der Verschwörung (ein Zug, den wir bei Hofmannsthal nicht wieder finden): JAFFIER: I've bound myself by all the strictest sacraments, Divine and human BELVIDERA: 18 Weshalb ich es auch an dieser Stelle bespreche und nicht in der allgemeinen Darstellung der Psychologie. My father! JAFFIER: BELVIDERA: JAFFIER: To kill thy father. Nay, the throats of the whole Senate Shall bleed, my Belvidera: he amongst us That spares his father, brother, or his friend Still to new waste; whilst thou, far off in safety Smiling, shalt see the wonders of our daring; And when night comes, with praise and love receive me! (III, 2.) Man fühlt so recht, wie es ihm wohl tut, von seinen großen Taten zu sprechen und seiner Gattin Schauer und Ehrfurcht einzuflößen vor dem furchtbaren Geheimnis, an dem er teilhat. Bei Hofmannsthal tut Jaffier gelegentlich auch groß, aber nicht so gänzlich unkritisch wie der Mensch der primitiveren Zeit; er ist eben nicht von einer einzigen Idee so zum Bersten voll, daß er nicht mehr an sich halten kann. Auch er prahlt bei seiner Gattin von seinem großen Vorhaben, aber wohlweislich so im allgemeinen, daß sie unmöglich erraten kann, um was es sich handelt; erst als die Furcht ihn packt, verliert er alle Überlegung, alle Selbstkritik, sodaß seine Gattin den Zusammenhang der Verschwörung errät. Bei La Fosse fehlt natürlich ganz das alberne Renommieren; wenn man sich vor etwas in einer geselligen Zeit fürchtet, so ist es, sich lächerlich zu machen, was ja unter gebildeten Menschen die natürliche Folge eines so kindischen Benehmens wäre. Neben der Kritiklosigkeit des englischen Jaffier und mit dieser zusammenhängend haben wir einen weiteren Zug, der ihn energisch von seinem deutschen Bruder abhebt und der ebenfalls den primitiveren Menschen kennzeichnet. Während wir bei Hofmannsthals Jaffier bezeichnenderweise für den modernen Neurastheniker nur eine erträumte Tapferkeit finden, kann eine impulsive Wallung den Jaffier Otways so stark fassen, daß er |