Зображення сторінки
PDF
ePub
[ocr errors]

Geistes sich rasch von Ort zu Ort versetze? Dieser Forderung wird sich der Zuschauer um so williger und leichter fügen, je mehr der Dichter es versteht, ihn in seine Phantasiewelt zu erheben und ihm. die Schwingen seines Geistes zu leihen. Aber Eines hat der Dramatiker, wenn er uns solche Sprünge über die Zeit hinweg zumutbet, nicht zu versäumen. Er muss uns die Zwischenzeiten in der Seele der handelnden Personen mit durchleben lassen und so eine innere Zeitcontinuität herstellen. Das ist es aber, was Schlegel an Shakespeare rühmt, wenn er sagt: Wiewohl der Dichter den äussern Zeitverlauf nicht unmittelbar in die Darstellung aufnimmt, lässt er uns dennoch ihn in den Gemüthern der Handelnden wie in einem Spiegel perspectivisch erblicken." Zu diesem Zwecke pflegte Shakespeare, wie Gervinus nachgewiesen, in Partien, wo die Handlung rasch verläuft, Andeutungen einzustreuen, die das vor dem Auge schnell Vorübergleitende für die Phantasie auf den natürlichen, ihm in der Wirklichkeit zukommenden Zeitraumn ausdehnen. Dergleichen Andeutungen sind im Kaufmann von Venedig die dreimonatliche. Verfallszeit von Antonio's Schein, im Othello der Briefwechsel von Jago und Rodrigo, in Richard III. die beiden Heirathen des Königs und manches Andere der Art. Auch in unserm Stücke fehlt es nicht an solchen Andeutungen; es gehören dazu im ersten Akt der Brief, den Aufidius vor etwa vier Tagen erhalten (Sc. 2), die Nachrichten, die Valeria erzählt und als am vorigen Abend eingelaufen bezeichnet (Sc. 3), die Zeit, die der Bote (Sc. 6) für seinen Weg gebraucht hat. Es wird dadurch, wie M. Carriere sich ausdrückt, hinter den engen dramatischen Vorgrund eine grössere Zeittiefe eingetragen, und wie durch die Perspective der Raum, so erweitert sich die Zeit im Hintergrunde nach den Erfordernissen der Handlung.

Jean Paul verlangt für das Drama eine strengere Wahrung der Einheit der Zeit, als der des Ortes. Da einmal Gegenwart, sagt er, das Charakteristische dieser Dichtart sei, so stehe es nicht in der Macht der Phantasie, über eine gegenwärtige Zeit in eine künftige zu flattern; hier fühle man stets den Schmerz des Sprungs und Falles, während man über Oerter und Länder, die zugleich existiren, leicht hinwegfliege. Aber wie wenig auch er auf Continuität der äussern Zeit besteht, zeigt die gleich folgende Erklärung, dass, wenn nur die innere Zeit, der Wechsel der Zustände, rein durchlebt wurde, auf die äussere Zeit wenig ankomme. „Ueberhaupt," fügt er hinzu. „,bedenke der dramatische Dichter in seinem Ringen nach Zeit- und Ortseinheit, dass Zeit und Ort bloss vom Geiste, nicht vom Auge, das im äussern Schauspiel nur die Ab

schattung des innern erblickt, gemessen werden; und der Dichter darf, hat er nur erst Interesse und Erwartung für eine Zeit- und Ortferne hoch genug entzündet und diese durch Ursachverkettung mit dem Nächsten gewaltsam herangezogen, die weitesten Sprünge über die Gegenwart machen; denn geflügelt springt man leicht."

Der Ortswechsel ist im Coriolan gerade im ersten Akt besonders stark und schnell; die Scene verändert sich dort nicht weniger als neunmal. Dies müsste entschieden als ein Fehler gegen die kunstmässige Organisation des Stücks bezeichnet werden, wenn der Dichter nicht auch ausnahmsweise schon den ersten Akt mit einer solchen Fülle von Leben, Bewegung und Spannung ausgestattet hätte. Dann ist aber auch die den Scenenwechsel begünstigende einfache Einrichtung des altenglischen Theaters zu berücksichtigen. Was auf der Bühne unserer Tage fehlerhaft sein würde, war es drum nicht nothwendig auf der Bühne Shakespeare's; und es darf ihm, der für seine Zeit dichtete, nicht verdacht werden, dass er seine Dramen nicht den Forderungen der jetzigen Bühnen angepasst hat.

So stellt sich denn Shakespeare's Coriolan, von welcher Seite wir ihn betrachten mögen, als ein durchaus kunstgerecht organisirtes Werk dar, das allen aus dem Wesen und Begriff des Dramas abgeleiteten Gesetzen entsprechend gebildet ist. Damit allein ist freilich nicht dargethan, dass unser Stück zu des Dichters höchsten Meisterschöpfungen gehört. Ein regelrecht geformtes Kunstwerk, dem es an Grösse und Genialität des Gehalts gebricht, erhebt sich nicht über das Mittelmässige. Aber Würde der Aufgabe, Höhe des Styls und geniale Kraft streitet Niemand dem Shakespeare'schen Coriolan ab. Wo sich diese mit der klassischen Correctheit verbinden, da entsteht das ächte Meister- und Musterwerk; und als ein solches darf der Coriolan allen dramatischen Dichtern zum eingehendsten Studium anempfohlen werden.

Shakespeare und Euripides.

Eine Parallele.

Von

Theodor Vatke.

[ocr errors]

Wie die Seele des Euphorbus in der des Pythagoras fort

lebte, so lebt die süsse, witzige Seele Ovid's in dem honigzüngigen Shakespeare, wie sein,,Venus und Adonis" beweist, seine Lucretia" und seine Zuckersonette an seine Freunde."

[ocr errors]

Diese Empfehlung, die ihren Urheber mehr als ihr Object charakterisirt, lässt ein Zeitgenosse (Francis Meres, Schatzkästlein des Witzes) dem grossen Lyriker Shakespeare zu Theil werden. Dass die Seele eines der unsterblichen Alten in ihm fortlebte eines Römer's, denn die Griechen waren im 16. Jahrhundert noch weniger allgemein bekannt und erkannt dieses Lob musste in den Augen der damaligen Engländer, deren Königin sogar Griechisch trieb, ') mit Virgil und andern lateinischen Dichtern aber in der Sprache Rom's zu reden verstand, einen Gipfel des Ruhmes in sich darstellen, der an die Höhen des Olymp selber hinanreichte. Der Lyriker Shakespeare, der durch seine Ebenbürtigkeit mit dem Geiste des Ovid das Bürgerrecht in der antiken Welt bekundete, hatte eben damit seiner Poesie den Eintritt in die moderne Welt des aristokratischen England's auf's Unanfechtbarste erworben. An jene spitzen Antithesen, jene geschraubten Wendungen eines parfümirten und überladenen Stiles, an John Lilly's Euphuismus, der die Eleganz der classischen Römer noch zu überbieten strebte (Ulrici,

1) Sie übersetzte Plutarch's Schrift über die Neugierde.

Shakespeare's dram. Kunst, Bd. I, 103. 3. Aufl. 1868), erinnert nun auch in mannigfachen Anklängen die Diction der Shakespeare'schen. Sonette. Denn zu gleichsam gesetzgebender Geltung hatte der Euphuismus in der guten Gesellschaft" sich erhoben, wie denn der Roman Euphues (1579), dessen Stil der Euphuismus genannt ward, epochemachend für die englische Prosa überhaupt und schöpferisch - begründend für die dramatische Prosa England's geworden ist.')

In den Hofkreisen der in der That gewaltigen Königin Elisabeth, die bei Annäherung der spanischen Armada (1588) in Tilbury zu Pferde und in voller Rüstung noch heute bewahrt man dieselbe im Tower zu London - die Reihen musterte, herrschten fast byzantinische Formen, und jene übertreibende, gesuchte Sprache Lilly's fand gleichsam ihren vollwichtigen Inhalt in der Beziehung auf die jungfräuliche Königin, bei der kein Gesandter seine Mission auszurichten hoffen durfte, es sei denn dass er die Allgewaltige für die schönste Dame der Welt erklärt hatte.

So sehr aber die zierliche, springende und schimmernde Sprache des Euphuismus das Modekleid des denkenden und empfindenden Geistes geworden, so konnte sie doch die innere, gewaltig und eigenthümlich bewegte Macht jenes Geistes so wenig seiner Ursprünglichkeit und Naturwüchsigkeit berauben als etwa die zierliche Kleidertracht der Zeit, die dem Manne vorschrieb in kunstvoll gearbeitete Spitzenkragen, in vielfaltige Beinkleider und seidene Strümpfe sich zu kleiden, es vermocht hätte, den markigen Engländer zum hüpfenden Franzmann umzuschaffen. Unter allen Formen geistiger und leiblicher Modetracht blieb der Engländer der stolze Sohn Albion's, und ein dramatischer Zeitgenosse Shakespeare's, Thomas Dekker, sagt in den Sieben Todsünden Londons" (1606) von der Kleidung eines Engländer's: ... der Kragen seines Wammses in Frankreich, die engen Aermel in Italien u. s. w., so stehlen wir von jeder Nation einen Lappen, um unsern Stolz auszuflicken."

Die grossartigste Gestalt aber, in welcher die Bewahrung und Entfaltung ureigenthümlichen Geistes mitten hindurch durch den Modezwang der Zeit uns entgegentritt, ist natürlich kein Andrer als der zum Dramatiker gewordene Lyriker Shakespeare. Wie er

1),,Alle Damen, sagt Blount in seiner Ausgabe der 6 Komödien Lilly's von 1632, wurden seine Schülerinnen, und die Hof-Schönheit, die nicht im Styl des Euphues sprechen konnte, wurde ebenso wenig beachtet, als wenn sie heutzutage nicht französisch parliren könnte." Ulrici, I, 102.

aber seinen lyrischen Ruhm dem Anschluss an den Zeitgeschmack und an ein Gegebenes verdankte, so entwickelte Shakespeare in seiner dramatischen Thätigkeit ebenfalls eine merkwürdige Virtuosität in Benutzung und Förderung des Vorhandenen. Keine deutsche Sturm- und Drangperiode erschütterte die männliche Jugend seines Geistes.

-

[ocr errors]

Im Lustspiel bezeugen seine früheren Leistungen durchaus den Anschluss an Methode und Diction des J. Lilly, im Trauerspiel ist Kyd und besonders Marlowe in der That ein grosser Dichter sein Vorbild gewesen. Und gerade unter dieser assimilirenden Thätigkeit des scheidenden und verbindenden Geistes entfalteten die Schwingen seines eigenen Genius sich in ungeahnter Kraft und Schönheit. Wenn nun aber Ben Jonson, jener realistische, für die Culturgeschichte des beginnenden 17. Jahrhunderts unschätzbare Dramatiker, seinen grossen Gönner und beneidetes Vorbild Shakespeare „die Seele des Zeitalters, den Beifall, die Lust, das Wunder der Bühne nennt, wenn er, der gelehrte Kenner besonders des Römischen Alterthums, den Verfasser Richard's III. sogar über die von ihm so hochverehrten Alten stellt, so thut sich die Frage auf, an welchen der alten Dramatiker Ben Jonson hiebei gedacht. Wir haben aber schon erinnert, dass die Griechen dem Zeitalter Elisabeth's auch ihrem Inhalt und ihrer litterarischen Bedeutung nach ungleich weniger geläufig waren als die Lateiner. Und so sagt denn der oben angeführte Meres (Palladis Tamia, Wit's Treasury, 1598): Wie Plautus und Seneka für die besten Dichter der Komödie und Tragödie unter den Lateinern gehalten werden, so ist Shakespeare der ausgezeichnetste in beiden Gattungen unter den Engländern." Nicht Aeschylus, Sophocles und Euripides hören wir preisen als die Heroen antiker Dramatik, vielmehr begegnet uns die rühmende Erwähnung der genannten beiden Lateiner auch in Shakespeare selber. Denn was sagt Polonius, jene Schauspieler zu empfehlen, zu Prinz Hamlet?

Seneca cannot be too heavy, nor Plautus too light. Seneka kann nicht zu schwer, noch Plautus zu leicht sein." Und in der That, so weit wir uns umsehen in der Litteratur-Geschichte des 16. Jahrhunderts, so begegnen wir dem Lucius Annæus Seneka, dessen Name zunächst die Vorstellung des Schwülstigen, Unnatürlichen und Grässlichen zu erwecken pflegt, als dem einflussreichsten und bekanntesten aller alten Dramatiker. Ben Jonson

« НазадПродовжити »