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Jahrhundert durch eine Thatsache in der Geschichte neuerer Schriftsprache, daß diese Provinz, welche die zentrale Landschaft und den Mittelpunkt des dänischen Reiches bildet, schon früh ihren Dialect geltend gemacht haben muß und Ginfluß auf die feinere Redesprache (soweit es eine solche gab) und die dänische Schriftsprache gewann, als wie wir sie aus dem 13. Jahrhundert und aus ebenso alten Handschriften kennen. Weder in der jütischen, noch in der finnischen, sondern in der seeländischen Mundart wurden Jütlands Geseze 1241 niedergeschrieben; und ein deutlicherer Beweis kann wol nicht davon gegeben werden, daß der seeländische Dialect bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts die Geltung erlangt hatte, welche eine vollkommenere Bildung durch den Gebrauch als Hofsprache und bei dem Adel dieser Mundart allein geben konnte.

Man sucht vergeblich nach dänischen Handschriften, in welchen eine andere dänische Mundart, als die seeländische auf eine überwiegende Weise die Sprachform bestimmt hätte; ja auch in Handschriften des jütischen Gesezes und der späteren südjütischen Staatsrechte, welche das Gepräge tragen, daß sie in Jütland geschrieben worden, sind doch die wenigen Spuren jütischer Spracheigenthümlichkeiten, welche darin vorkommen, geringfügig und unwesentlich und gehören mehr der Aussprache und Schreibweise, als dem grammatischen Organismus an. Noch in spä teren Zeiten kann man nichts destoweniger dänische Handschriften und Diplome, welche in Jütland geschrieben find, von andern unterscheiden, aber auch dies nur durch ähnliche mehr orthographische, als grammatikalische Abweichungen (wohin z. B. der, wenn auch nicht allgemeine, doch sehr häufige Gebrauch von jen und jet als Artikel und Zahlwort für en und et). Diese Abweichungen sind in Handschriften überhaupt geringer und weniger in die Augen fallend, als in einer groBen Menge jütischer Briefe oder Privatdocumente und Rechtsachen vom Ende des 14. und vom 15. Jahrhundert. Aber den Grund davon muß man besonders darin suchen, daß die Handschriften von Klöstern und Kapiteln ausgingen, wie die Königsbriefe und andre wichtige Documente, als man sie dänisch abzufassen begann, von Geistlichen oder Schreibern, welche geistliche Bildung erhalten hatten, geschrie ben wurden. Eine Menge Kaufbriefe, Tauschbriefe und andere Geschäftsbriefe wurden dagegen von unwissenden Bögten und Schreibern geschrieben, welche denn auch eine schlechtere Schreibart und eine Menge jütischer Dialectwörter und Sprachgebräuche in diese Art von Documenten brachten, die sich von Jütland her datiren.

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Dies besagt jedoch nicht mehr, als daß man noch im 16. Jahrhundert und in der Reformazionsliteratur (z. B. bei Taussen) einzelne Volkswörter und Dias lectformen in der Schreibart findet; weit mehr aber noch und verunstaltetere_in des ungelehrten und ungebildeten Hans Mikkelsen Uebersetzung des neuen Testaments; dagegen ganz wenige Spuren von solchen bei dem durch geistliche und Universitätsstudien in Paris gebildeten Geistlichen und Kanonikus Christiern Peters fen, dessen Saxoüberseßung leider verloren gegangen ein für die ältere Sprachgeschichte unerfezlicher Verlust. Man wird dagegen vergebens unter vielen Lausenden von dänischen Diplomen und Briefen, die dem 14., 15. und 16. Jahrhundert angehören, nach einem einzigen Papiere suchen, das wirklich ganz in jütischer Mundart verfaßt wäre, oder wo man z. B. den Gebrauch des Pron. a für jeg, der Conj. te für at, des präpositiven Artikels (ae Man oder e Man für der Mann), die Auslassung des nachklingenden e in allen Substantiven und Verben (z. B. Kuun' für Kone, Paeng' für Penge, reis' für reise, klipp' für klippe) und andere Besonderheiten der jütischen Mundart nachweisen könnte.

südlichen Theile der Halbinsel, und des seeländischen Dialectes sowol nach seinem grammatischen Verhältnisse, als dem ursprünglichen Wortvorrath des Volkes. Es ift ja ganz klar, daß die Bauernsprache in Seeland der einzige Dialect in Dänemark ist, welcher bei Beleuchtung der Grammatik der gegenwärtigen Sprache zu Hülfe genommen werden kann. Er kann in mancher Hinsicht mehr Interesse für uns haben, als die gelehrtesten etymologischen Untersuchungen, die uns zum Sanskrit, Mösogothischen oder Isländischen zurückführen, welche uns ungleich ferner liegen, als die Sprache, die das dänische Volk in der Proving spricht, von welcher die Schriftsprache ausgegangen ist.

8. Es ist ferner eine unbestrittene Thatsache, daß die im 13. Jahrhundert entstandene, im 14. langsam und sparsam fortgeschrittene und im 15. noch schwach entwickelte Form einer dänischen Schriftsprache seit jenen Zeiten ungeachtet eines großen erst aus dem Plattdeutschen, später aus dem Hochdeutschen aufgenom menen Wortstoffes in einer ununterbrochenen und ungestörten organischen Ausbildung begriffen ist, welche durch die einmal in der Sprachformazion geltenden und herrschenden Elemente bedingt wird, deren Grundcharacter und Analogieen wir zunächst in der seeländischen Mundart suchen müssen. Diese liegt so offenbar zu Tage, und ist vordem durch herausgegebene Sprachdenkmale und mitgetheilte Sprachproben so sattsam bekräftigt und bewiesen, daß weitere practisch historische Beweise überflüssig wären. Nur für Leser, welche nicht die entsprechenden Schrif ten sogleich zur Hand haben, wollen wir unten ein paar kleine Proben unsrer alten Sprache, ganz wortgerecht in unsre gegenwärtige Schreibweise übertragen, mittheilen. Jeder Leser wird bei der Vergleichung mit dem originalen Text augenblicklich sehen können, daß es überhaupt nicht der Wortstoff, die Construczion und der Styl ist, sondern nur einzelne ältere grammatische Formen und ein älterer Sprachgebrauch, welcher das Dänische des 13. Jahrhunderts von dem des 19. trennt. Die erste Stelle*), aus dem bekannten Arzneibuch Hinrik Harpestrengs aus dem 13. Jahrhunderte und aus einer Handschrift, vermuthlich vom Ende desselben Jahrhunderts, enthält 4 durchaus unverständliche und veraltete Wörter, an welchen diese Handschrift überhaupt sehr reich ist; im Uebrigen aber ist die stylistische und grammatische Sprachform so übereinstimmend mit der gegenwärtigen, daß wir mit Leichtigkeit dieses sechshundert Jahre alte Dänisch lesen und verstehen, wenn wir nur von der Schreibart der Wörter und der Sprachveränderung absehen, welche eine größere Weichheit in der Aussprache des Grundlautes und Selbstlautes der Worte hervorgebracht hat. Wir finden so noch bei H. Harpestreng, wie überhaupt im Dänischen des 13. Jahrhunderts, k wo wir jezt g brauchen, t oder th statt d; ae für das neuere e; u für o (sum, summae für som, somme), o für aa, i oder y für e u. s. w. Einzelne Wörter (z. B. fyrrae, för; mykael, megen) haben zwar eine organische ältere Form; aber es ist im Allgemeinen mehr Äussprache und Schreibweise, als Sprachorganismus, welche den Grund zu der Verschiedenheit bildet, die zwischen der frühesten dänischen Schriftsprache in 13. Jahrhundert und der gegenwärtigen stattfindet **).

Daß die Sprache in Dänemark schon zu Waldemar II. Zeiten ebensowenig isländisch, als deutsch war, davon wird jede Handschrift des jütischen Gesezes den vollständigen Beweis liefern; unter Anderem auch die bekannte Vorrede zu dies fer Gesezessammlung, welche bisweilen als Beispiel einer größeren Aehnlichkeit zwischen der Vorrede altdänischer uns isländischer Sprachform angeführt wird. Be trachten wir aber das Verhältniß genauer, so finden wir einen so bedeutenden Unterschied zwischen der leztern und einer getreuen Uebersehung der Vorrede des Gesezes in die isländische Schriftsprache, daß es uns klar werden muß, wie viel, was *) Hvo (Hwa) som vil Lägedom (läkydom) tage (takae), han skal det vide, at noger (nokär) stärk Lägedom maa ei gives Börn, og ei gammelt Folk, og ei andre, der (thaer) svage (krankoe) ere. Og ei skal Lägedom tages eller gives i megen Hede og ei i megen (mykael) fuld. Man skal ei to Lägedomme tage een Daag. Naar (thaegaer) Lägedom er tagen til Afföring (Lösn) og haver man ei faant (fangaet) Afföring, da skal Mad ei tages, för end Lägedom haver fuldkommet sie Virkning (Dygh.) Tager nogen (man) Mad för, da kan han frygen for, at san taaer Feber (Rythae). **) Eine andre (diätetische) Stelle desselben Arzneibuches, in einer späteren Handschrift, wird auf ähnliche Weise, wie die obige, angeführt: Mennesker, san skulle i vogte (gömmae) eders daglige Lernnet som her er skrevet: I skulle ande een Gang (tymmse Zeit) om Dägen. Lyser eider at ande om Aftenen, da skal det väve lidet Mad, som er unge Höes og segte Svine födder og koldt kalvekiödt, blöde (weghae) Aeg, nyt Smör og ler u. f. w. (Dansk Magaz. 6. Reihe. II. fest Oft, lidet Pärer og ÜbS. 167).

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der neueren dånischen Sprache eigenthümlich ist, sich bereits vor 600 Jahren entwickelt hatte. Im Uebrigen müssen wir uns noch für lange Zeit mit dieser Sprachentwicklung auf einen Kreis von Ideen beschränken, wie ihn die Gesezessprache und andre kürzere Arbeiten (z. B. Arzneibücher) ziehen und wie er später durch Rechtsdocumente, Geschäftsbriefe, Königsbriefe kaum in etwas_erweitert wird. Wenn man hier bemerkte ich jüngst davon spricht, daß Sprache, Geschichten und Dichtkunst in Dänemark nach Waldemar II. Periode oder vom 13. Jahrhundert an verfiel und entartete und daß dieses Verhältniß eine Folge der Unmacht des Staates, der Veränderung und Verderbniß der Sitten u. f. w. war, so spricht man von einer Verschlimmerung dessen, was nicht beffer war, weil es überhaupt nicht existirt hat.

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Weder in Dänemark, noch in Schweden hatte man eine eigene alte oder mittelalterliche Literatur, wie in Island, welches der Theil des Nordens war, „wo die Sagenerzählung und Liederdichtung, lange durch die mündliche Tradizion gepflegt, sich zuerst zu einer Literatur entwickelte." Aber dieses war zu entfernt, zu beschränkt nazional in seiner Natur und Beschaffenheit, als daß es das Element für eine geistige und literarische Cultur bilden könnte, die mit der europäischen harmonirt hätte, welche von Italien und andern füdlichen Ländern den Weg nach England, Deutschland und dem Norden nahm. Ebenso berühmt und merkwürdig, als Island durch seine Conzentrirung und Bewahrung des skandinavischen Geistesund Dichterlebens auf dem von der Natur für eine so eigenthümliche Individualität bestimmten Klippenland im Polarmeer geworden: ebensowenig war es nach den Gesezen der Geschichte denkbar, daß ein so individueller Character, wie der der nordisch-isländischen Gesezgebung, Sagenerzählung und Skaldendichtung auf andre, geographisch entfernte, wenn auch durch Geist und Sprache verwandte Böl ferschaften übergehen sollte; wenn die Zeitverhältnisse diese einer andern Culturentwicklung entgegen führten. Was man bisweilen von einer Ausdehnung der isländischen Literatur auf das ganze Skandinavien träumte, ist ebenso unhistorisch, als wenn man sagen wollte, die altsächsische Sprachart und die Literaturentwick lung der Angelsachsen habe sich auf alle deutschen Stämme erstreckt. Eine nähere Verwandtschaft verband beide, wie eine Stammes- und Sprachverwandtschaft inniger Natur von Arilds Zeiten an die dreigetheilte skandinavische Nazion verbunden; aber die Zeit, da die Sprache Dänemarks klang wie die Dalekarliens, mag ebenso weit hinter uns liegen, als die, da Mösogothen, Alemannen und Sachsen eine Sprache redeten. Wir wollen hier auch nicht vergessen, daß je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto stärker und dentlicher durch die größere Maffe von Wortähnlichkeiten die ursprüngliche Verwandtschaft zwischen den ältesten deutschen und fkandinavischen Wortformen hervortritt; mit andern Worten zwischen dem Isländischen, Mösogothischen, Altsächsischen und Fränkischen. Es ist ja auch bekannt, daß selbst das älteste Hochdeutsche, wie es noch in alemannischen und fränkischen Sprachdenkmälern aufbewahrt ist, eine große Menge Wörter und Wortformen gemeinschaftlich mit dem Isländischen hat, welche später in dem neueren Deutsch sich aus dem Sprachgebrauch verloren haben*); oder mit andern Worten, daß die Aehnlichkeit zwischen der germanischen und ‍skandinavischen Sprachmasse größer und allgemeiner wird, je weiter wir in der Zeit zurückgehen.

9. Aber, sagt man, dies beweist nichts gegen die ältere Trennung der beiden Sprachzweige, oder gegen die organisch-grammatische Verschiedenheit, welche deutsche Spracharten von skandinavisch-nordischen scheidet**). Aber es wird auch nicht geleugnet, was im Norden nie bezweifelt worden: Dänisch war nie Deutsch und ist es selbst dadurch nicht geworden, daß man sich in verschiedenen Perioden der dänischen Sprachbildung an das Nächste, mit unsrer eignen Sprache nahe verwandte Fremde wandte, wenn man einen größern Sprachreichthum, eine größere Wort

*) Man findet den Beweis davon in jedem deutschen Wörterbuch (und namentlich in Graffs vortrefflichem „Althochdeutschen Sprachschap" 6. Bd. 4. Berl. 1834-42).

**) Der Beweis dieser Verschiedenheit ist schon öfter und noch jüngst geführt worden.

fülle zu gewinnen suchte, um den neueren Sprachkreis in demselben Verhältniß zu erweitern, in welchem die geistige Entwicklung und literarische Cultur neuer Ausdrücke und Sprachmittel bedurfte. Eine Untersuchung der historischen Umstände lehrt uns bald die Nothwendigkeit dieses Verhältnisses einsehen. Es würde unzweifelhaft ganz anders geworden sein, wenn die Verbindung von England und Dänemark nach Knud des Großen Zeit fortgedauert hätte. Die Verwandtschaft unserer Sprache mit der englischen würde sich weit vollkommner entwickelt haben; der Sprachschaz der angelsächsischen und späteren englischen Literatur wäre der ge wesen, in welchem wir die Bereicherung und Cultur der dänischen Sprache gesucht hätten. Nun mußte statt desseu Deutschland vom 12. und 13. Jahrhundert uns die nächste Sprachquelle werden, da des Nordens alte Literatur und Sprachbildung weder heimisch noch nazional in Dänemark geworden: noch in ihrem langsamen und abgebrochenen Fortgang, in ihrer beschränkten Theilnahme an der neues ren Cultur Europas im 14. und 15. Jahrhundert eine lebendige Quelle und ein Muster für Dänemarks und Schwedens Sprache werden konnte, deren Uebergang zu neueren Formen damals schou abgemacht war.

Nun sagt man uns: dies ist gerade unsrer Sprache unglückliches Schicksal, dies die eigentliche Quelle ihrer Entartung und Verschlechterung, des Abfalls von dem edlere, reineren, des nordischen Volkes würdigeren Sprachzustande, zu dem wir uns noch mit unseren lezten Kräften zurück wenden sollen, um wenigstens noch einige Reste von dem zu retten, was wir vor mehr als einem halben Jahrtausend gewonnen haben. Zurüc ein schlimmes übelberüchtigtes Wort in unseren Tagen. Unzweifelhaft kanu es mit einer Sprache zurückgehen, wenn ihre lebendigen Kräfte, ihre Cultur und classische Veredlung stehen bleibt und abnimmt oder mit der Nazion entartet, die sie spricht. Dazu bedarf es keines andern Beispiels, als des in der europäischen Sprachgeschichte so sprechenden: die beiden alten, classischen, sogenannten gelehrten Sprachen, das Griechische und Römische.

Ein Anderes ist es, zu beweisen, daß eine Sprache zurückgegangen sei, während die Nazion in der Zivilisazion, Geistesbildung, wissenschaftlichen und nazionálen Cultur gleichmäßige Fortschritte machte. Soll der Beweis genommen werden aus den Vorandringen in den grammatischen Sprachformen, durch den Uebergang von einem künstlichen, formenreichen Organismus zu einem ärmeren und einfacheren oder dadurch, daß das lexicalische oder stylistische Element als ein mehr geistiges das Uebergewicht bekam über das schwerere, mehr unmittelbare, minder freie grammatisch formelle: so sagt man uns nichts mehr ́und nichts weniger, als daß die Natur selbst zurückgegangen ist oder daß die allgemeine Naturentwicklung der Sprache auf der Bahn der Zivilisazion_und der geistigen Cultur ein falscher und verwerflicher Krebsgang und nicht ein Fortgang zum Vollkommneren, Neicheren und Veredelten ist.

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Ueberhaupt lernen wir ja aus der ganzen Geschichte der neueren europäischen Sprachen, wie sie von ihrer ersten Bildung an dem Geseze huldigten, die grammatischen Formen zu vereinfachen, der gebildeten Kraft der Sprache eine mehr syntactische und stylistische Richtung zu geben oder ihre Symbolik zu einer freieren, geistigeren und idealeren Wirksamkeit zu erheben, indem man sie zum höheren Sprachorganismus des Sahes ausbildet. Dies muß für Jeden klar sein, der zu unterschei den weiß zwischen der Sprache in des Menschen Naturzustande oder in den verschie denen Culturperioden, welche das Menschengeschlecht in seinen Stämmen und Völkerschaften durchwandert, um zur Zivilisazion und Verfeinerung zu gelangen und der Sprache, die sich im selben Verhältniß bildet und abschleift, als die nazionale Cultur sich bei dem Volke entwickelt, dem die Sprache angehört. Die ganze etymologisch-grammatische Betrachtung und Erforschung der rein formellen Beschaffenheit der Sprache, ihrer Beugungsgeseze und des Ursprungs der einzelnen Wörter und Wortstämme ist eine wissenschaftliche Disziplin, die von der Anatomie der Sprachgliederung ausgeht, wogegen wir, um das Gleichniß beizubehalten, den physiologischen und psychologischen Theil der Sprachwissenschaft in allem dem suchen müssen, was zur Lehre von der Wortverbindung und Sazbildung, von dem Gebrauch der Wörter, nicht als Elemente des Gedankens, sondern als Ausdruck eines ganzen Denkens, gehört. „Erst der grammatikalische Saz“ sagt Heiberg

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„drückt einen menschlichen Gedanken aus; er ist die Form, in welcher der Gedanke zum Bewußtsein kommt, und vollendet so zulezt die Idee der Sprache“ *).

10. Von diesem Gesichtspuncte aus wird Niemand mit sehendem Auge längnen können, daß die dänische Sprache gewonnen hat und nur gewonnen hat in ihrer ganzen neueren Entwicklung; wenn man dabei nicht ins Auge faßt, was fie in einem ganzen Jahrtausend von dem isländischen Sprachorganismus oder dem altnordischen Sprachvorrath verlor. Was das Leztcre betrifft, so sind die Menge der Wörter, sowenig als ihre ursprüngliche Art und Beschaffenheit keineswegs die einzigen Bedingungen für die Cultur und Veredlung einer Sprache. Die Hauptsache ist und bleibt der Gebrauch der Wörter; und hierin kann die wortärmere Sprache ebenso hoch über der wortreichen, als die Sprachkunst über der Sprachkunde und Sprachlehre stehen, wo es gilt, die Kräfte und das Eigenthum einer Sprache zu entwickeln. Ein Haufen Steine ist noch kein Haus; eine Menge Wörter noch keine Sprache", sagt ein ebenso geistreicher, als bescheidener neuerer deutscher Sprachforscher**); und wir können fragen, was half der staunenswerthe Wortreichthum und die herrliche Bildungskraft, welche die Stammsprache des Nor dens besaß, der isländischen Literatur des Mittelalters? Sie blieb beschränkt auf die Gesezessprache, Sagasprache und die Formen einer veralteten Dichtersprache, weil ihr Organ nicht der allgemeinen europäischen Sprachcultur theilhaftig wurde, die von geistiger Veredlung, von der Wiederbelebung des Studiums der griechischen und römischen Classiker, von dem ganzen Aufblühen der Jutelligenz, Wissenschaft, Kunst und Poesie ausging, das sich von Italien und Südfrankreich später über das übrige Europa ausbreitete.

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Ob es deßhalb für das geistige Leben, die nazionale Kraft, Selbstständigkeit und eigenthümliche Culturentwicklung zum Vortheil gereicht hätte, wenn jener alte Sprachorganismus in seiner Totalität sich über den ganzen Norden hätte verbreiten und fortentwickeln können, statt sich nach Island zurückzuziehen darüber laffen sich blos Hypothesen aufstellen; denn das wirkliche, das historische Verhältniß gibt uns hier keinen festen Boden zu Schlüssen und Beweisen. Wie der Geist der Geschichte vor tausend Jahren eine dreigetheilte Nazionalität im Norden wollte; so wollte er auch, bis zu einem gewissen Grade, eine Abweichung in der skandinavis schen Sprachentwicklung, welche die alte Stammsprache als Schriftsprache in Island (obwol auch hier nicht ohne den Einfluß neuerer Beimischungen) erhielt; man ließ ein zweifaches Idiom mit Bewahrung der ursprünglichen Elemente (wenn auch spät und mit mancher Beschränkung), die sprachbildenden Einflüsse der neueren europäischen Cultur auf sich wirken und bereitete so die Bildung einer dänischen und schwedischen Literatur vor, die sowol dem Geiste als der Grundform nach mit dem Isländischen verwandt war; in der stylistischen, poetischen und der ganzen literären Sprachentwicklung jedoch abwich. Hier ist, troz allem, was man auch von den Vorzügen und dem Reichthum der Wortformen, Wortbeugungen und der Fülle der Ableitungen aus den Wortstämmen, der isländischen Sprache nachrühmen mag, doch kein Rückgang, nachdem die neuere Entwicklung einmal begons Hier ist im Gegentheil von jener Zeit an ein ununterbrochener lebendiger Fortschritt zu bemerken; während es sich nicht läugnen läßt, daß die nordische Stammsprache, obwol sie noch gesprochen wird, als Schriftsprache einer allgemei nen Stagnazion unterlag, nachdem die alte isländische Schriftsprache aufhörte. Die Redesprache auf Island war zwar nicht, wie das Angelsächsische einer elementaren Mischung mit romanischen Elementen unterworfen, wodurch die englische Stammsprache später in England veraltete, gerade wie das Isländische dem Dänis *T. L. Heiberg, om det materialistische og idealistische Prinzip i Sprohet." 1827. III., S. 244.

nen.

**) Der ungenannte Verfasser des Buches: „Ueber die Sprache." Heidelb. 1828. Er warnt seine Landsleute, sie möchten nicht von der Höhe des Sprachberges der 30,000 Wörter in Campe's Wörterbuch oder 500,000, von welchen Radloff träumt, hochmüthig auf die französische mit ihrem kleinen Heer_vvn 10,000 Wörtern (?) herabsehen; „es könnte ihnen gehen, wie den persischen Satrapen mit Xenophon und seinen unüberwundenen Begleitern."

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