Зображення сторінки
PDF
ePub

daß diese Unterschiede, als zu geringfügig, bei ́einer allgemeinen Betrachtung nicht in Anschlag zu bringen sind, so ging doch den Deutschen das Bewußtsein, oder, wenn dieser Ausdruck für jene Zeiten zu viel sagen follte, das Gefühl der Zusammengehörigkeit ab. Wenigstens hat es sich nicht thatsächlich geäußert. Von der Ges sammtheit ist nie ein gemeinschaftliches Unternehmen ausgeführt und vollendet, nie ein gemeinsamer Zweck verfolgt worden. Den Kampf mit den Römern darf man nicht dahin rechnen. Denn dieser ents spann sich nur, weil die Deutschen auf ihren Wanderungen zufällig auf sie stießen, und er ging mehr aus äußerer Nothwendigkeit, als aus bewußter Absicht hervor, abgesehen davon, daß die Deutschen sich kein Gewissen daraus machten, in den Reihen der Römer gegen ihre eignen Landsleute zu fechten. Ich gebe aber noch mehr zu. Ich will einräumen, daß es eine Verkennung geschichtlicher Verhältnisse ist, solchen rohen Horden, wie die Deutschen anfangs waren, gemeinsame Zwecke zuzutrauen. Aber ich frage, ist es denn späterhin anders und besser geworden? Als im Verlauf der Zeit mehrere Stämme zu einem verschmolzen, als Vandalen, Gothen, Longobarden, Franken und Sachsen als große Völkerschaften auftraten, haben nicht auch diese einseitig ihren Weg genommen, ohne sich um die andern zu kümmern, oder, wenn sie in gegenseitige Berührung kamen, war diese nicht meist feindlicher Natur? Und selbst zu der Zeit, als alle deutschen Völkerschaften unter der Hand eines Kaisers vereinigt waren, hat es da nicht auch große Mühe gekostet, diese Verbindung selbst nur äußerlich aufrecht zu erhalten, geschweige ste zu einer innigen Verschmelzung weiter zu führen? Ueberhaupt ist von

einer Thätigkeit, 'die von dem Ganzen der Nation ausging und auf das Ganze zurückwirkte, die von allgemeinen National - Intereffen getragen wurde, in der deutschen Geschichte nicht die Rede, wenn man eine einzige Ausnahme macht, die in die neuesten Zeiten fällt. Der Kampf um den Besiz Italiens, das Ringen der Könige nach der eisernen lombardischen und der römischen Kaiserkrone fand nicht den ungetheilten Beifall der Nation. Wären sie denn sonst so häufig von ihren Vasallen, den deutschen Fürsten, im Stich gelaffen wors den, wenn sie rein nationale Interessen, die Allen gleich sehr am Herzen lagen, verfochten hätten? Man könnte an die Kreuzzüge denken. Aber diese sind aus dem Gegenstoß des Heiðnischen und Christlichen entstanden, und ganz Europa, nicht bloß Deutschland,

nahm an ihnen Theil. Auch selbst die Kriege, welche die Deutschen später gegen die Türken führten, ruhten auf einem weitern, als blöß nationalen Boden. Denn der Erbfeind des deutschen Reiches war zugleich der Feind der ganzen Christenheit. Nur die Kämpfe mit

den Slaven und Normannen, und später mit den Franzosen, haben allgemeine nationale Sympathien für sich gehabt, aber ohne daß die Nation ihre ganze, ungetheilte Kraft, nur mit Ausnahme von 1813, daran gesezt hätte, die Feinde aus den Grenzen zu vertreiben. Ge wöhnlich überließ man das den Grenzländern, welche auf ihre eigne Tapferkeit verwiesen waren und zusehen mochten, wie sie mit den Feinden fertig wurden. Für allgemeine Interessen der Menschheit oder der Christenheit, für dynästische Zwecke hat der Deutsche oft Gut und Blut hergegeben, für allgemeine Interessen seines Volkes fast nie. Das verhinderte die ursprüngliche Stammesverschiedenheit, die provinzielle Eifersucht, der Neid.

--

Wie konnte unter folchen Umständen eine Literatur entstehen, welche Stoffe verarbeitet, die das Eigenthum der ganzen Nation find? Wo waren diese zu finden? Nirgends. Der Dichter fand nur die Thaten seines Stammes, nur Helden seines Stammes vor. Ich rede hier noch von den ersten Jahrhunderten unseres geschichtlichen Daseins. Wir wissen vermittelst Nachrichten denn die Gedichte sind nicht auf uns gekommen daß das Herrschergeschlecht der Gothen und die Thaten dieses Stammes besungen sind, daß die longobardischen Könige Gegenstände der Dichtung waren, daß burgundische, thüringische Helden im Gesange verherrlicht wurden; kurz, wir finden, daß überall Stammfagen die Grundlage und der Stoff der Poesie waren. Mag diese so vortrefflich gewesen sein, wie sie will, so bedeutende Thaten und so würdige Helden besungen haben, als immer möglich ist, die Poesie war keine Nationalpoeste, sondern Stammpoeste.

Ich bin hier auf zwei Einwürfe gefaßt, die ich hier gleich erledigen will. Man kann zuerst die geschichtliche Thatsache anführen, daß die besungenen Helden weit über die Enge ihres Stammes hinaus bekannt gewesen seien, und daß die Thaten, die sie verrichteten, sich auch über die andern Stämme verbreitet haben. Thatsache ist nicht wegzuläugnen. Hermanrich, der Ostgothen König, Dietrich von Bern, Ezel der Hunnen König, sind Gestalten, auf welche sich die gesammte deutsche Heldensagè ftüßt; selbst den Angel

Diese

sachsen, die jenseits des Canals wohnten, waren sie nicht unbekannt. Aber genügt es, daß sie nur gekannt sind? daß man ihre Namen weiß? Kommt es nicht darauf an, was von ihnen gekannt wird? ist nicht der Inhalt, die Bestimmtheit, der Umfang, die Weite der Sage, von der größten Bedeutung? Und muß nicht auch die Breite der Grundlage, auf welcher volksthümliche Gestalten zu ruhen pflegen, eine gewisse Sicherheit und Festigkeit haben? Aber gerade dieser breite und sichere Boden mangelt den Trägern der Heldensage. Innerhalb ihres Stammes stüßte sich eine reiche und lebendige Sage auf ihre Personen, aber jenseits desselben wird sie ärmer, allgemeiner und flacher und schrumpft bis auf den Namen der Helden zusammen. Dies erklärt sich sehr leicht aus der Natur der Zeit, welcher die Sagen ihren Ursprung verdanken. Es ist nämlich die Völkerwanderung, in welcher fie ihre Wurzeln haben. Es hat bekanntlich mehrere Jahrhunderte gedauert, che diese Völkerfluth ein Ende nahm; der Schauplag der Begebenheiten ist fast der ganze Occident, ja geht über die Säulen des Herkules hinaus. Diese Länge der Zeit, diese Größe und Weite des Raumes verstatteten keine Uebersicht und benahmen den Sagen die Abrundung; den großen Thaten wurde kein Raum gegeben, sich in dem Gedächtnisse des Volkes zu befestigen. Denn, wenn die Erinnerung an sie eben angefangen. hatte, Wurzeln zu schlagen, waren schon wieder andere und neue Thaten geschehen, welche den vorhergehenden an Größe und Bedeutung nichts nachgaben. So entstand ein Gewirre und Gedränge der Begebenheiten, von denen die eine immer die andre zur Seite schob, oder neben ihr Plaz suchte. Dies hat denn zur Folge gehabt, daß Ereignisse, Perfonen, Zeiten zusammenrückten, die in der Wirklichkeit weit auseinander lagen, daß die Erzählungen verschiedener Sagen sich ineinander und durcheinander mischten und nirgends sich feste Begrenzung und Abgeschlossenheit zeigte, daß nur von den Häuptern eine allgemeine, schwankende Kunde umging. Wie anders bei den Griechen! Wenn bei ihnen eine einzige große Nationalbegebenheit, die Zerstörung Troja's, fast alle Sagen in ihren Umkreis zu ziehen und darin zu behalten wußte, und die Helden, die daran Theil nahmen, nicht bloß den allgemeinen Heldentypus erhielten, sondern auch noch in einer scharfen, charakteristischen Zeichnung vor Augen traten, die bis ins Einzelnste hinabstieg und die ganze Zeit des Griechenthums über unverrückbar blieb, so treten die zersplitterten deutschen Sagen

nur in allgemeinen Zusammenhang mit der Völkerwanderung, der oft so locker ist, daß er nur durch gelehrte Combinationen gefunden wird; die Helden sind nicht scharf gegen einander begrenzt, sondern sehen mehr oder weniger überein aus. Dadurch gewann allerdings die Phantaste freien Spielraum und ihre Launen und Seltsamkeiten wucherten je später je stärker. Diese Verbindung wahrhafter Ueberlieferung und der die Schranken von Jahrhunderten mißachtenden und überspringenden Phantasie, die auch das Entfernteste sich bes rühren ließ, hat unsrer Poeste den Namen einer romantischen eingetragen, ihr aber die sichere Grundlage geraubt, worauf sie hätte stehen sollen. So bildet sie nicht das volle, wirkliche Leben der Nation in seiner Derbheit und Gedrungenheit ab, sondern löst es in einen träumerischen Duft auf, aus dem unsichere Gestalten in großen Umrissen hervorschimmern. Die geringe Ehrfurcht, welche noch jezt deutsche Dichter gegen die Geschichte beweisen, im Gegensaz zu den Griechen, die mit einer fast ängstlichen Gewissenhaftigkeit an der Ueberlieferung festhielten, ist ein Ausfluß dieses romantischen Geistes, der sich indeß auch über alle neueren Völker ausgegossen hat.

Der zweite Einwurf könnte von Griechenland hergenommen werden, das, eben so zerrissen und in viele Völkerschaften getheilt, als Deutschland, troß dieser Hindernisse sich eine Nationalpoeste erschaffen habe, die mit vollstem Rechte diesen Namen führen könne. Wenn also dort gleiche Verhältnisse obwalteten, wie hier, warum führten denn gleiche Verhältnisse ein verschiedenes Resultat herbei? Der Saß, daß dieselben Bedingungen dasselbe Resultat erzeugen, ist nicht zu bestreiten; aber gerade die Verschiedenheit des Resultats läßt auf eine Verschiedenheit der Bedingungen zurückschließen. Es ist Thatsache, daß das griechische Volk aus Stämmen bestand, die durch Sprache, Sitte, Lebensgewohnheit von einander abstanden; aber dies ist auch nur das eine Verhältniß, was beide Völker gemeinschaftlich haben. Sonst drängte Alles in Griechenland zu einer größeren Concentration und zu einem innigeren Zusammenschließen. Schon die verhältnißmäßig geringe Anzahl der Griechen, die Kleinheit ihres Landes, schüßte sie vor einem völligen Auseinanderfallen. Die Enge des Raumes, worauf ihre Thaten geschahen, beschränkte ihren Gesichtskreis und ließ sie Alles genauer und deutlicher sehen. Dazu hatte eine einzige Begebenheit, welche die Dauer von zehn Jahren nicht überfstieg, alle Stämme vereinigt, und jeder Stamm

hatte einen Helden gestellt und genoß des Ruhmes, der von dieser gemeinschaftlichen That über alle ausströmte. Und was von besonderer Wichtigkeit ist, es war den Griechen in diesem Kampfe der Gegensaß zum Bewußtsein gekommen, der zwischen ihnen und den Barbaren Statt fand. Dieser Gegensaz wurde durch den stetig fortgesezten Kampf gegen die benachbarten Völker, denen sie an Bildung sich so überlegen fühlten, wach gehalten und durch das Wachsthum ihrer eigenen Kraft immer mehr zugespißt. Dagegen trafen die Deutschen entweder mit Völkern zusammen, die ihnen an Rohheit gleichstanden, oder sie an Bildung weit übertrafen. Beides war aber nicht geeignet, das Gefühl der Nationalität zu beleben und zu schärfen, denn im ersteren Falle wurden sie keiner Verschiedenheit ge= wahr, im anderen Falle entäußerten sie sich ihrer Eigenthümlichkeiten durch die Hingabe an die fremde Cultur.

Auf dieses Selbstgefühl gründete, sich auch die Heimathsliebe der Griechen, die auch in entfernten Colonien die Verbindung mit dem Mutterlande unterhielten und nie die Anhänglichkeit an dasselbe verloren. Dagegen beherrschte die Wanderungsluft die Deutschen ganz und gar; gleichgültig verließen sie ihre alten Siße und zerstreuten sich in großen Massen über ganz Europa, ohne dem bisher bewohnten Boden etwas Anderes als eine flüchtige Erinnerung zu schenken. Je mehr ein Volk zum Bewußtsein feines eignen Wesens kommt, je mehr es sich selber kennen und achten lernt, in ebendemselben Maße wächst die Liebe zu dem Boden, den es seine Heimath nennt. Aber weil dem deutschen Volke, in seiner Gesammtheit genommen, das Gefühl feines Werthes und seiner Würde mangelt, oder nur in geringem Maße bei ihm zu finden ist, so ist die Geringschäßung der Heimath ein Charakterzug der Deutschen bis auf den heutigen Tag verblieben. So sentimental auch der Deutsche ist, so entschließt er sich doch mit leichtem Herzen, die Heimath zu verlaffen, leichter wenigstens, als irgend ein Glied einer andern Nation, und sobald nur die erste Rührung geschwunden ist, die ihn beim Scheiden zu ergreifen pflegt, findet er sich in der Fremde bald heimisch, wenn er sich nur erst eine behagliche und gemüthliche Umgebung geschaffen hat. Aus keinem Volke haben Mehrere sich in den Dienst des Auslandes begeben, als aus dem unsrigen. Deutsche Tapferkeit hat von jeher der Fremde ihren Arm geliehen, von den Friesen an, welche die Leibgarde der Agrippina, der Mutter Nero's,

« НазадПродовжити »