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schattung des innern erblickt, gemessen werden; und der Dichter darf, hat er nur erst Interesse und Erwartung für eine Zeit- und Ortferne hoch genug entzündet und diese durch Ursachverkettung mit dem Nächsten gewaltsam herangezogen, die weitesten Sprünge über die Gegenwart machen; denn geflügelt springt man leicht." Der Ortswechsel ist im Coriolan gerade im ersten Akt besonders stark und schnell; die Scene verändert sich dort nicht weniger als neunmal. Dies müsste entschieden als ein Fehler gegen die kunstmässige Organisation des Stücks bezeichnet werden, wenn der Dichter nicht auch ausnahmsweise schon den ersten Akt mit einer solchen Fülle von Leben, Bewegung und Spannung ausgestattet hätte. Dann ist aber auch die den Scenenwechsel begünstigende einfache Einrichtung des altenglischen Theaters zu berücksichtigen. Was auf der Bühne unserer Tage fehlerhaft sein würde, war es drum nicht nothwendig auf der Bühne Shakespeare's; und es darf ihm, der für seine Zeit dichtete, nicht verdacht werden, dass er seine Dramen nicht den Forderungen der jetzigen Bühnen angepasst hat.

So stellt sich denn Shakespeare's Coriolan, von welcher Seite wir ihn betrachten mögen, als ein durchaus kunstgerecht organisirtes Werk dar, das allen aus dem Wesen und Begriff des Dramas abgeleiteten Gesetzen entsprechend gebildet ist. Damit allein ist freilich nicht dargethan, dass unser Stück zu des Dichters höchsten Meisterschöpfungen gehört. Ein regelrecht geformtes Kunstwerk, dem es an Grösse und Genialität des Gehalts gebricht, erhebt sich nicht über das Mittelmässige. Aber Würde der Aufgabe, Höhe des Styls und geniale Kraft streitet Niemand dem Shakespeare'schen Coriolan ab. Wo sich diese mit der klassischen Correctheit verbinden, da entsteht das ächte Meister- und Musterwerk; und als ein solches darf der Coriolan allen dramatischen Dichtern zum eingehendsten Studium anempfohlen werden.

Shakespeare und Euripides.

Eine Parallele.

Von

Theodor Vatke.

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Wie die Seele des Euphorbus in der des Pythagoras fort

lebte, so lebt die süsse, witzige Seele Ovid's in dem honigzüngigen Shakespeare, wie sein Venus und Adonis" beweist, seine Lucretia" und seine Zuckersonette an seine Freunde."

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Diese Empfehlung, die ihren Urheber mehr als ihr Object charakterisirt, lässt ein Zeitgenosse (Francis Meres, Schatzkästlein des Witzes) dem grossen Lyriker Shakespeare zu Theil werden. Dass die Seele eines der unsterblichen Alten in ihm fortlebte eines Römer's, denn die Griechen waren im 16. Jahrhundert noch weniger allgemein bekannt und erkannt. dieses Lob musste in den Augen der damaligen Engländer, deren Königin sogar Griechisch trieb, ') mit Virgil und andern lateinischen Dichtern aber in der Sprache Rom's zu reden verstand, einen Gipfel des Ruhmes in sich darstellen, der an die Höhen des Olymp selber hinanreichte. Der Lyriker Shakespeare, der durch seine Ebenbürtigkeit mit dem Geiste des Ovid das Bürgerrecht in der antiken Welt bekundete, hatte eben damit seiner Poesie den Eintritt in die moderne Welt des aristokratischen England's auf's Unanfechtbarste erworben. An jene spitzen Antithesen, jene geschraubten Wendungen eines parfümirten und überladenen Stiles, an John Lilly's Euphuismus, der die Eleganz der classischen Römer noch zu überbieten strebte (Ulrici,

1) Sie übersetzte Plutarch's Schrift über die Neugierde.

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Shakespeare's dram. Kunst, Bd. I, 103. 3. Aufl. 1868), erinnert nun auch in mannigfachen Anklängen die Diction der Shakespeare'schen Sonette. Denn zu gleichsam gesetzgebender Geltung hatte der Euphuismus in der guten Gesellschaft" sich erhoben, wie denn der Roman Euphues (1579), dessen Stil der Euphuismus genannt ward, epochemachend für die englische Prosa überhaupt und schöpferisch - begründend für die dramatische Prosa England's geworden ist. ')

In den Hofkreisen der in der That gewaltigen Königin Elisabeth, die bei Annäherung der spanischen Armada (1588) in Tilbury zu Pferde und in voller Rüstung noch heute bewahrt man dieselbe im Tower zu London die Reihen musterte, herrschten fast byzantinische Formen, und jene übertreibende, gesuchte Sprache Lilly's fand gleichsam ihren vollwichtigen Inhalt in der Beziehung auf die jungfräuliche Königin, bei der kein Gesandter seine Mission auszurichten hoffen durfte, es sei denn dass er die Allgewaltige für die schönste Dame der Welt erklärt hatte.

So sehr aber die zierliche, springende und schimmernde Sprache des Euphuismus das Modekleid des denkenden und empfindenden Geistes geworden, so konnte sie doch die innere, gewaltig und eigenthümlich bewegte Macht jenes Geistes so wenig seiner Ursprünglichkeit und Naturwüchsigkeit berauben als etwa die zierliche Kleidertracht der Zeit, die dem Manne vorschrieb in kunstvoll gearbeitete Spitzenkragen, in vielfaltige Beinkleider und seidene Strümpfe sich zu kleiden, es vermocht hätte, den markigen Engländer zum hüpfenden Franzmann umzuschaffen. Unter allen Formen geistiger und leiblicher Modetracht blieb der Engländer der stolze Sohn Albion's, und ein dramatischer Zeitgenosse Shakespeare's, Thomas Dekker, sagt in den Sieben Todsünden Londons" (1606) von der Kleidung eines Engländer's: ... der Kragen seines Wammses in Frankreich, die engen Aermel in Italien u. s. w., so stehlen wir von jeder Nation einen Lappen, um unsern Stolz auszuflicken.“

Die grossartigste Gestalt aber, in welcher die Bewahrung und Entfaltung ureigenthümlichen Geistes mitten hindurch durch den Modezwang der Zeit uns entgegentritt, ist natürlich kein Andrer als der zum Dramatiker gewordene Lyriker Shakespeare. Wie er

1),,Alle Damen, sagt Blount in seiner Ausgabe der 6 Komödien Lilly's von 1632, wurden seine Schülerinnen, und die Hof-Schönheit, die nicht im Styl des Euphues sprechen konnte, wurde ebenso wenig beachtet, als wenn sie heutzutage nicht französisch parliren könnte." Ulrici, I, 102.

aber seinen lyrischen Ruhm dem Anschluss an den Zeitgeschmack und an ein Gegebenes verdankte, so entwickelte Shakespeare in seiner dramatischen Thätigkeit ebenfalls eine merkwürdige Virtuosität in Benutzung und Förderung des Vorhandenen. Keine deutsche Sturm- und Drangperiode erschütterte die männliche Jugend seines Geistes.

Im Lustspiel bezeugen seine früheren Leistungen durchaus den Anschluss an Methode und Diction des J. Lilly, im Trauerspiel ist Kyd und besonders Marlowe - in der That ein grosser Dichter

sein Vorbild gewesen. Und gerade unter dieser assimilirenden Thätigkeit des scheidenden und verbindenden Geistes entfalteten die Schwingen seines eigenen Genius sich in ungeahnter Kraft und Schönheit. Wenn nun aber Ben Jonson, jener realistische, für die Culturgeschichte des beginnenden 17. Jahrhunderts unschätzbare Dramatiker, seinen grossen Gönner und beneidetes Vorbild Shakespeare „die Seele des Zeitalters, den Beifall, die Lust, das Wunder der Bühne" nennt, wenn er, der gelehrte Kenner besonders des Römischen Alterthums, den Verfasser Richard's III. sogar über die von ihm so hochverehrten Alten stellt, so thut sich die Frage auf, an welchen der alten Dramatiker Ben Jonson hiebei gedacht. Wir haben aber schon erinnert, dass die Griechen dem Zeitalter Elisabeth's auch ihrem Inhalt und ihrer litterarischen Bedeutung nach ungleich weniger geläufig waren als die Lateiner. Und so sagt denn der oben angeführte Meres (Palladis Tamia, Wit's Treasury, 1598): Wie Plautus und Seneka für die besten Dichter der Komödie und Tragödie unter den Lateinern gehalten werden, so ist Shakespeare der ausgezeichnetste in beiden Gattungen unter den Engländern." Nicht Aeschylus, Sophocles und Euripides hören wir preisen als die Heroen antiker Dramatik, vielmehr begegnet uns die rühmende Erwähnung der genannten beiden Lateiner auch in Shakespeare selber. Denn was sagt Polonius, jene Schauspieler zu empfehlen, zu Prinz Hamlet?

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Seneca cannot be too heavy, nor Plautus too light.

Seneka kann nicht zu schwer, noch Plautus zu leicht sein." Und in der That, so weit wir uns umsehen in der Litteratur-Geschichte des 16. Jahrhunderts, so begegnen wir dem Lucius Annæus Seneka, dessen Name zunächst die Vorstellung des Schwülstigen, Unnatürlichen und Grässlichen zu erwecken pflegt, als dem einflussreichsten und bekanntesten aller alten Dramatiker. Ben Jonson

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hatte ihn vorzüglich und Plautus studirt.') Der italienische Novellist Giraldo Cinthio (geb. 1504), dem Shakespeare die grässlichsten seiner Stoffe, den Othello" und Gleiches mit Gleichem " entlehnte, konnte seiner Neigung zum Gewaltthätigen bei jenem Römer trefflich befriedigen: am Secirtische machte G. Cinthio SenecaStudien (cf. J. Klein, Geschichte des Drama's V, 322).

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In England hatte Jasper Heywood, der fruchtbarste Dramatiker der Nation vor Shakespeare, 1559-1566 die zehn Tragödien des Seneka übersetzt (cf. die chronol. Uebersicht der Gesch. der engl. Bühne aus Collier bei Graf Baudissin Ben Jonson und seine Schule 2 Bde. 1836) und 1581 übersetzte dieselben Thom. Newton (K. Elze im Commentar zu Hamlet p. 168). Der edle und gefeierte Sir Philip Sidney sagt in der Apology of Poetry, 1583, von der ersten regelmässigen Tragödie der Engländer,,Ferrex and Porrex", 1562 „den Stil bis zu Seneka's Höhe aufschwingend. Wie befremdlich es aber dem heutigen Freunde des Alterthums, der in den Griechen den reinsten Ausdruck antiker Kunst zu erblicken nicht umhin kann, erscheinen muss, den Seneka als Gipfel derselben zu verehren, so natürlich wird uns doch die unbedingte Hingabe an denselben in Ermangelung der Griechen sich darstellen: er ist weitaus der Modernste der Alten, 2) besonders in der Seelenmalerei. Das übertriebenste, inhaltloseste Pathos und das wahrste, energischste Fühlen und Empfinden liegt bei Seneka so unmittelbar neben einander, wie im Menschen selbst, in Leben und Wirklichkeit sehr oft. Es ist aber nicht der Name des Seneka allein und eine gewisse allgemeine Aehnlichkeit in der Energie des Ausdrucks und der scenenbildenden Kraft, die wir bei Shakespeare finden, es begegnen uns fast Citate aus demselben in Shakespeare's frühester, an die oft geradezu lateinisch redende „Spanische Tragödie des Thom. Kyd (1589) sich anlehnender Tragödie „Titus Andronicus". 3)

1) Seneka's ,,Trojanerinnen" übersetzte auch Martin Opitz, zwischen 1625 u. 29. cf. Strehlke,,M. O." p. 80 (1856). In seiner lyrischen Diction erinnerte Opitz durchaus an Marino und Lilly. Auch die Antithesen des Stuttgarter Lyrikers G. Weckherlin (geb. 1584) erinnern daran, der ja zu London als Secretair des Kurfürsten Friedrich v. d. Pfalz lebte.

2) Wir benutzten bei Seneka bes. die Abhandl. von Lessing in der Theatr.-Bibl. 1754 u. die umfassende, vorzügliche Darstellung J. Klein's Gesch. d. Dr. Bd. 2.

3) Titus Andr. 2, 1. „Sit fas aut nefas Per Styga, per manes vehor,“ klingt an Seneka's Phaedra 1189: per Styga per amnes igneos amens sequar. 5

Jahrbuch IV.

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